Sexismus-Vorfall wird für Roundnet zum Problem

 
Alexa Peusch schlägt den Ball während des Damenfinals auf das Netz. Im Hintergrund sieht man das Kommentatorenpult.© Ruwen Schröder

Alexa Peusch schlägt den Ball während des Damenfinals auf das Netz. Im Hintergrund sieht man rechts das Kommentatorenpult.

© Ruwen Schröder


Es war als “das absolute Highlight” für die Deutschen Meisterschaften angekündigt worden: Trops4 (heute Spontent), ein Livestream-Anbieter, der Sport auf Twitch überträgt, würde einen Tag live vom Turnier senden. Mit über 42.000 Followern brachte der Kanal eine immense Reichweite mit, um den Sport Roundnet noch bekannter zu machen. Wer vor Ort in Münster war, konnte sich von der professionellen Ausstattung und Aufmachung persönlich überzeugen. Auch die Bild- und Tonqualität sowie direkte Zeitlupen dürften den Zuschauenden vor den Bildschirmen gefallen haben. Roundnet Germany (RG) versprach sowohl die Spiele des Herren- als auch des Damenturniers zu zeigen.

Doch wer genau hingeschaut hat, dem dürfte ein deutliches Ungleichgewicht aufgefallen sein: Am Ende des Tages wurden doppelt so viele Männer-Spiele wie Frauen-Spiele gezeigt. Betrachtet man nur die Partien der K.O.-Runde ohne die jeweiligen Finalspiele, war das Verhältnis noch krasser. Hier stehen 5:1 Herrenspiele zu Buche. Es stellt sich die Frage: Woran lag das?

Plötzlich geht es um Instagram

Alina Schädel leitet bei Roundnet Germany das Referat “Diversity & Inklusion”.© Ruwen Schröder

Alina Schädel leitet bei Roundnet Germany das Referat “Diversity & Inklusion”.

© Ruwen Schröder

Während des Streams erwähnt RG-Vorstandsmitglied und Kommentator Marcel Halle bereits, dass einige Damenteams ablehnten vor der Kamera zu spielen. Es gab keinen festen Sendeplan, die Teams wurden vor Ort spontan angefragt. “Viele Frauen haben eine starke Scheu in der Öffentlichkeit zu stehen und sich angreifbar zu machen”, vermutet Alina Schädel als Grund für die Zurückhaltung. Schädel leitet bei Roundnet Germany das Referat “Diversity & Inklusion” und war Teil des einzigen Frauen-K.O-Spiels neben dem Finale.

In eben diesem Damenfinale wurde leider auch sehr offensichtlich, warum viele Frauen nicht wollen, dass ihre Spiele übertragen werden. Die Finalübertragung war nämlich nicht von den sportlichen Höhepunkten der Frauen geprägt, sondern von sexistischen Bemerkungen im Livestream-Kommentar. Folgendes ist passiert: Während die Teams “Die Raketen” (Alexa Peusch/Paula König) und “MRC Stadlers” (Franziska und Julia Stadler) am Anfang des zweiten Satzes die Punkte ausspielen, kommen die Kommentatoren Marcel Halle und Alexander Walkenhorst auf den Instagram-Kanal der Raketen zu sprechen. Walkenhorst fordert die Zuschauer*innen des Streams zum Folgen auf und prahlt damit, den Frauen viele neue Follower zu bescheren. Kurze Zeit später erscheint der Aufruf auch als Bauchbinde auf dem Bildschirm.

Die sportliche Leistung wird zur Nebensache

Weil der Instagram-Account zum damaligen Zeitpunkt noch auf privat gestellt ist, ruft Halle live im Stream einen Freund der Raketen an, der das Profil mitverwaltet. Die Kommentatoren versuchen ihn dazu zu bringen den Instagram-Kanal auf öffentlich zu stellen, doch der Freund wehrt sich. Über den Handylautsprecher hört man ihn sagen: “Die [Spielerinnen, Anm. d. Red.] haben gesagt, dass ist [nur für den] Inner Circle”. Walkenhorsts Augen werden groß: “Onlyfans, oder was?”

Die App “Onlyfans” ist bekannt für ihren hohen Anteil an erotischen und pornografischen Inhalten, die nur für zahlende Kund*innen zugänglich sind. Dass ein solcher Kommentar während eines Damenspiels, egal ob Vorrunde oder Finale, vollkommen unangebracht und respektlos ist, sollte allen klar sein. Dass Walkenhorst nach der gescheiterten Telefonaktion seine Aboanfrage auf Instagram zurückzieht, macht den Schaden nur größer.

Inzwischen steht es 12-8 für die Stadlers, die erste Hälfte des zweiten Satzes ist schon rum. Der sportliche Aspekt des Finalspiels war zur Nebensache verkommen. Halles Kommentar zur deutlichen Führung (“Was ist da denn passiert?”) setzt dem ganzen die Krone auf.

Paula König (mitte) bei der Deutschen Meisterschaft in Münster.© Ruwen Schröder

Paula König (mitte) bei der Deutschen Meisterschaft in Münster.

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“Absolut respektlos” findet auch Vize-Meisterin Paula König. “Generell finde ich, dass im Finale nicht viel dafür getan wurde, die Professionalisierung in der Frauen Division zu unterstützen, eher im Gegenteil”, lautet ihr Urteil. König musste im Endspiel am meisten negative Kritik einstecken. Immer wieder wurden Fehler von ihr bewertet und hervorgehoben. “Natürlich ist spielerische Kritik erlaubt”, findet König, “aber die stand in meinen Augen dazu nicht im richtigen Verhältnis.” Die Spitze des Eisbergs war die Vermutung, dass Alexa Peusch mit einer anderen Partnerin gewinnen könnte.

Zusätzlich zu den Entgleisungen von Walkenhorst (nach einem langen Ballwechsel im Damenfinale sagt er zur Thematik, ob Frauen-Roundnet mehr Spaß mache zu gucken: “Für mich ist die Bewegungspräzision und die Strategie dahinter und vor allem die Geschwindigkeit der Ausschlag dafür, dass ich mich immer für die vermeintlich eintönigere Männervariante entscheide”) oder der fehlenden Analyse nach dem ersten Satz (es wird übers Saufen geredet), kommen mehrere gehässige und sexuell anspielende Kommentare im Twitch-Chat. Ein*e Nutzer*in, der*die darauf aufmerksam macht, dass vielleicht der “Onlyfans-Witz” ein Grund für das mangelnde Livestreaminteresse der Frauen ist, bekommt als Antwort unter anderem “Gehe mit deiner “Problematik” bitte zu Twitter” oder “Du kannst gerne woanders eine Special Snowflake sein”.

Im Chat kommt die Aufforderung zum Ausziehen

Letztlich ist die Angst vor öffentlicher Bewertung natürlich kein Problem, was exklusiv in der Roundnet-Community zu finden ist, sondern seine Ursprünge viel tiefer in der Sozialisierung unserer Gesellschaft hat. Eine Gesellschaft, die als Patriarchat aufgebaut wurde, in der fast zwei Drittel der führenden deutschen Wirtschaftsunternehmen keine Frau im Vorstand haben, in der Frauen im Durchschnitt noch immer 18 Prozent weniger verdienen als Männer und so gut wie jeder Sport von Männern erfunden wurde. Das sind nur ein paar Beispiele der fortwährenden Ungleichheit. Sie alle strahlen in jeden Bereich unseres gesellschaftlichen Beisammenseins aus und halten die Probleme am Leben.

Fast jede Frau kann von Situationen aus dem Alltag berichten, in denen sie mit unangenehmen Blicken oder anzüglichen Kommentaren konfrontiert wird. Auch der Frauensport ist dabei kein sicherer Raum. “Was das Aussehen und die Kleidung betrifft, wird sich öfter bei Frauen das Maul zerrissen als bei Männern”, sagt Alina Schädel. Beispiel gefällig? Vor ihrem Achtelfinalspiel erzählt Kommentator Halle, dass alle vier Spielerinnen ein schwarzes Shirt tragen und auf Anfrage ablehnen die Trikots zu wechseln. Die Lösungsvorschläge zweier User: “Einfach oben ohne” und “Oberkörperfrei wie aufm Bolzplatz damals”.

“Ich stelle die Behauptung auf, dass bei Männerteams dieser Kommentar nicht gekommen wäre”, urteilt Schädel. Sie selber spiele gerne im Stream, weil sie “unter Druck mehr abliefern” kann, wie sie selbst sagt. Außerdem möchte sie zeigen, dass Frauen genauso gut sein können wie Männer. 

Marcel Halle (links) und Alexander Walkenhorst beim Kommentieren während der DM.© Ruwen Schröder

Marcel Halle (links) und Alexander Walkenhorst beim Kommentieren während der DM.

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Auch Alexa Peusch hat mit einem Auftritt im Livestream “kein Problem”. Das ist auch gut so, denn mit ihrer Partnerin Paula König stand sie im Damenfinale womöglich auf der größten Livestreambühne, die es im deutschen Roundnet bisher gegeben hat. Doch auch in ihrem Gießener Team hat sie mitbekommen, dass einige Spielerinnen wegen der großen Aufmerksamkeit ein Spiel am Livestream-Set abgelehnt haben. “Vielen fehlt es an Selbstvertrauen”, erzählt Peusch. Auch ihre Spielpartnerin lehnte eine vorherige Anfrage im Stream zu spielen ab. Stattdessen wurde das zweite Halbfinale der Herren gezeigt, bei dem die Teams große Lust hatten auf dem Center Court zu spielen. 

Ein weiterer Aspekt, den Alexa Peusch kritisch beobachtet, ist, dass die übertragenen Spiele den gesamten Tag über nur von Männern kommentiert wurden. Es waren entweder die bereits erwähnten Marcel Halle und Alexander Walkenhorst oder Dirk Funk (die letzteren beiden kommen von Spontent) im Duo am Mikrofon. Eine Tatsache, die für einige Frauenteams sicherlich nicht motivierend war. Nach dem Damenfinale dürften sich viele Spielerinnen in ihrer Zurückhaltung bestätigt sehen.

“Wie können wir die Frauen stärken?”

Diese missglückte Livestream-Übertragung hat der deutschen Roundnet-Community wahrlich keinen Gefallen getan. Der hierzulande noch junge Sport hat eine Erfahrung gemacht, die Narben hinterlassen wird. Es gibt noch viel zu lernen und einiges zu verbessern. Die Scheu vor der Kamera zu spielen wird für viele Damenteams nach diesen Vorfällen nun größer sein als zuvor. Ein enormes Problem für den Sport, der eh schon mit einem geringen Frauenanteil zu kämpfen hat.

So sieht Community-Zusammenhalt aus: “Die Raketen” und “MRC Stadlers” freuen sich nach dem Finale zusammen.© Ruwen Schröder

So sieht Community-Zusammenhalt aus: “Die Raketen” und “MRC Stadlers” freuen sich nach dem Finale zusammen.

© Ruwen Schröder

Doch es wird bereits an einer besseren Zukunft gearbeitet. Es gehe jetzt darum “Vertrauen zurück zu gewinnen”, wie Alexa Peusch sagt. “Wie können wir Frauen bestärken, sich zu zeigen?”, fasst Alina Schädel vom Referat Diversity & Inklusion den nächsten Schritt zusammen. Ein Lösungsansatz könnte sein, immer eine Frau und einen Mann zusammen kommentieren zu lassen. Im selbst organisierten Stream während der Mixed-DM kam es bereits dazu. „Das war viel erfrischender“, findet Alexa Peusch. Um die Position und Sichtbarkeit der Frauen zu stärken wäre auch ein reines Damenturnier eine gute Möglichkeit. Anfang 2020 musste ein solches wegen der gerade gestarteten Corona-Pandemie abgesagt werden. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt den Plan wieder aufzunehmen.

Initiator des Referats Diversity & Inklusion ist übrigens ausgerechnet Marcel Halle. Er beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der Gleichstellung der Gender. Dass er im Stream trotzdem diese Fehler beging und mangelndes Situationsbewusstsein an den Tag legte, beschäftigt ihn sehr. Nach dem Turnier bekam Halle heftige Reaktionen aus der Community, die ihn erwägen ließen, ob er überhaupt nochmal kommentieren solle, wie er im Gespräch mit MUS erzählt. Aber Alexa Peusch und Alina Schädel betonen auch Halles Engagement. “Wir sind keine professionell ausgebildeten Leute für diese Aufgaben und Marcel hat das den ganzen Tag sehr gut gemacht”, sagt Schädel. Die Fehler dürften dennoch nicht totgeschwiegen werden und Schädel ist sicher, dass es Konsequenzen geben wird, um weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern. Denn es wird weitere große Turniere mit entsprechenden Livestreams geben. Ob dies in Zusammenarbeit mit Spontent geschieht, wird wohl gründlich diskutiert werden.


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