Regel-Revolution im Quidditch führt zu emotionalen Diskussionen

 

von Daniel Knoke

So werden Quidditchspiele in Zukunft warscheinlich nicht mehr starten. Foto: Van Klaveren Quidditch Photography / Facebook

So werden Quidditchspiele in Zukunft warscheinlich nicht mehr starten.
Foto: Van Klaveren Quidditch Photography / Facebook


Eine Sache, auf die man sich beim Quidditch bislang immer verlassen konnte, war die Tatsache, dass das Spiel in der Regel mit einem Schnatzfang beendet wurde. Zwar gab es seltene Ausnahmen in der Verlängerung, doch gefühlt endeten weit über 90 Prozent der Spiele mit einem Schnatzfang. Das wird sich in Zukunft ändern, denn die Regelhüter der International Quidditch Association (IQA) haben gravierende Regeländerungen verkündet.

Nicht nur das Spielende wird grundsätzlich verändert, auch der Spielstart wird komplett neu gestaltet. Die Sportart Quidditch erhält so ein völlig neues Gesicht und entfernt sich mit diesen Regeländerungen noch weiter von der Romanvorlage aus den Harry-Potter-Büchern. Während dieses Anliegen grundsätzlich sicherlich viel Zustimmung innerhalb der Quidditch-Gemeinschaft genießt, haben die konkreten neuen Regeln hingegen für teilweise empörte Kritik gesorgt. 

Dabei fokussierte sich die Empörung gar nicht so sehr auf die gravierendsten Regeländerungen zum Spielstart und zum Spielende, sondern auf zwei andere Neuerungen. Zum einen geht es um die Tatsache, dass der Quaffel nun unbegrenzt oft gekickt werden darf – bisher war nur ein Kick erlaubt.

Künftig nur noch Fußball auf Besen?

In den Facebook-Kommentaren ist die Befürchtung zu hören, „dass wir künftig einfach Fußball auf Besen spielen“. Wer den Ball am Fuß gut führen kann, sei kaum noch zu stoppen. Schließlich könne man sich dem Ballführenden nicht wie ein Fußballtorwart entgegenwerfen, weil Körperkontakt unterhalb der Knie nicht erlaubt ist. Das stimmt zwar, doch dafür ist Körperkotakt oberhalb der Knie in einem Maß erlaubt, das beim Fußball längst ein Foul wäre. Man kann den Gegner mit den Armen stoppen - Pushes und Blocks bieten hier ausreichende Möglichkeiten.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie konkrete Auswirkungen diese Regeländerung tatsächlich haben wird. Ein Kommentar in der deutschen Quidditch-Facebook-Gruppe stellt die Vermutung an, dass der Fußball-Einfluss in Europa unterschätzt wurde. Dem Regel-Team mit hauptsächlich US-amerikanischer Herkunft, sei vielleicht nicht bewusst gewesen, dass es in Europa sehr wohl Personen gibt, die einen Ball am Fuß nahezu perfekt kontrollieren können. Schnelles Weiterpassen mit zwei Ballkontakten wird so neben dem Dribbeln zu einer Option.

Doch selbst wenn das regeltechnisch nun erlaubt ist. Ein Ball lässt sich im Zweifelsfall trotzdem immer schneller und präziser mit der Hand bewegen als mit dem Fuß. Zumal der Ball spätestens zum Torwurf sowieso in die Hand genommen werden muss – außer man ist ein Fußball-Profi. Spätestens hier drängen sich berechtigte Zweifel auf, ob die neue Regelfreiheit tatsächlich konsequent zum Vorteil ausgenutzt werden kann. Schließlich sind nach wie vor Bludger im Spiel, die mit dem Ball am Fuß kaum abgeblockt werden können.

Apropos Bludger, auch die dürfen jetzt mehrmals gekickt werden. Doch auch hier stellt sich die Frage, inwiefern es realistisch ist, dass künftig mehrfache Kick-Beats zu sehen sind. So gehen auch die Äußerungen auf Facebook in einigen Fällen in die Richtung, dass das mehrfache Kicken kaum eine Veränderung bewirken wird, weil es kaum jemand einsetzt.

Besen bekommen neue Maße

Die zweite Regeländerung betrifft eine neue Normierung der Besen. Künftig dürfen Besen maximal  98 bis 102 Zentimeter lang sein. Außerdem ist ein Durchmesser von  25 bis 35 Millimeter vorgeschrieben. Bislang gab es nur Vorgaben zur Länge, aber keine zur Dicke, des Besens. Kritik entzündet sich hier vor allem an der Tatsache, dass nun viele bislang genutzte Besen illegal werden. So sind offenbar alle bislang in Großbritannien vom dortigen Verband verwendeten Besen zu kurz.

Problematisch ist das vor allem, weil nun diverse PVC-Stangen, die bislang als Besen dienten, in die Mülltonne wandern. Es müssen neue PVC-Stangen gekauft werden, welche die entsprechenden Maße aufweisen. Das kostet nicht nur Geld, sondern verbraucht auch Ressourcen, die unmittelbar kaum anderweitig nutzbar sind. Inwiefern die neuen, genormten Besen die Sicherheit erhöhen, bleibt abzuwarten. 

Im Gegensatz zu diesen beiden Themen hat sich zu den neuen Abläufen am Spielstart und am Spielende bislang nur vereinzelt Kritik geregt. Dabei bietet vor allem das neue Spielende durchaus Angriffspunkte. Kurz erklärt, endet das Spiel nicht mehr, wenn ein unterlegenes Team den Schnatz fängt und damit nicht zum Sieg kommt. Es wird dann ohne Schnatz weitergespielt und die Quaffel-Punkte entscheiden bis zu einer festgelegten Maximalpunktzahl. 

Mit der neuen Regel wird die Wichtigkeit der Positionen Schnatz und Seeker deutlich abgewertet. Diese haben nun einen Einsatz und danach auf keinen Fall eine zweite Chance. Im ungünstigen der beiden Fälle sind sie sogar nur kurz im Einsatz und dürfen nach dem Schnatzfang nicht mehr am Spiel teilnehmen. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist der, dass die taktische Variante des „defensive Seekings“ nun komplett aus dem Spiel eliminiert ist. Sie macht nicht nur keinen Sinn mehr, sie muss sogar aktiv vom Schnatz verhindert werden. Damit wird der Sport um eine taktische Variable ärmer. Allerdings muss man fairerweise auch dazu sagen, dass „defensive Seeking“ Spiele oft unnötig in die Länge gezogen hat – ohne das jemals wieder ernsthaft Spannung aufgekommen wäre. Trotzdem: Manch legendäres Comeback (auch in der deutschen Quidditch-Historie) wäre ohne „defensive Seeking“ nicht möglich gewesen.

Weniger Emotionen beim Schnatzfang?

Zu guter Letzt kann die neue Variante des Spielendes einige Emotionen aus dem Spiel nehmen. Grundsätzlich bleiben zwar die emotionalsten Schnatzfänge erhalten. Wer mit einem Snitchcatch in Führung geht, beendet auch künftig damit sofort das Spiel. Aber allgemein kann die Zahl der emotionalen Schnatzfänge durchaus abnehmen. Schließlich ist es zum Beispiel nicht mehr möglich, bei 30 Punkten Rückstand mit einem Schnatzfang eine Verlängerung zu erzwingen und dort dann durch einen erneuten Catch zu gewinnen. Sogar ein sogenannter „Cold Catch“, also ein Schnatzfang eines weit zurückliegenden Teams ohne Chance auf den Sieg, war für unterlegene Teams in der Vergangenheit oft ein großer Grund zum Jubeln. Sie hatten so zumindest einen kleinen Sieg davongetragen. Auch das wird es künftig nach neuen Regeln nur noch sehr eingeschränkt geben. Das unterlegene Team hat die Option, das Spiel zu beenden und die Niederlage zu akzeptieren. Oder es wird ohne Schnatz weitergespielt.

Ähnlich grundlegend fallen die Änderungen zum Spielanfang aus. Kurz gesagt, stehen sich die beiden Teams jetzt nicht mehr zum Start gegenüber und laufen aufeinander zu, sondern sie starten von der Seitenlinie. Diese Regeländerung hat bisher am wenigsten Kritik hervorgerufen. Das Ziel der Änderung ist völlig klar (Verletzungsprävention) und tatsächlich eröffnet diese Variante viele neue taktische Möglichkeiten. 

Ob sich solche Möglichkeiten auch durch die anderen Regeländerungen ergeben, erscheint noch völlig unklar. Schließlich ist das komplett ausformulierte neue Regelbuch mit allen Details noch gar nicht veröffentlicht. Ein Blick in die Vergangenheit macht allerdings Hoffnung. Es zeigt sich schnell, dass alle größeren Regeländerungen den Sport bislang immer vorangebracht haben. Hätte es diese Änderungen nicht gegeben, würde Quidditch vermutlich immer noch mit zwei statt drei Bludgern gespielt.


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