Quidditch-Erfinder: “Das Rule Book hab ich nie gelesen”

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Quidditch-Begründer Alex Benepe gibt die Eröffnungsrede zur Weltmeisterschaft 2018 in Florenz. © Ajantha Abey

Quidditch-Begründer Alex Benepe gibt die Eröffnungsrede zur Weltmeisterschaft 2018 in Florenz.

© Ajantha Abey


Alex Benepe ist nicht nur Mitbegründer von Quidditch. Er hat den Sport auch über Jahre bedeutend geprägt und der Sport ihn ebenso. Sein Wohnort, seine Arbeit, seine Freunde und seine damalige Lebensgefährtin – alles hat irgendeinen Bezug zu Quidditch. Mit MUS spricht er im Interview über die Bedeutung der Headband-Farben, ein ungeplantes Besäufnis nach einem Turnier und seine Erfolge als Spieler. Außerdem muss er beichten, dass er noch nie das komplette Regelbuch gelesen hat.

Magazin des unpopulären Sports (MUS): Du hast Quidditch aus der fiktionalen Welt von Harry Potter ins reale Leben übertragen und einen echten Sport daraus gemacht. Vielen bist du als Quidditch-Erfinder bekannt, obwohl du die Sache gemeinsam mit einem Freund ins Rollen gebracht hast. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Alex Benepe: Es war die Idee meines Freundes Xander, und sie begann bei einem Gespräch beim Mittagessen über fiktive Sportarten. Wir dachten darüber nach, wie man diese Sportarten im echten Leben spielen könnte und dabei sprachen wir dann auch über Quidditch. Xander begann sich richtig mit Quidditch-Regeln in der realen Welt zu beschäftigen und als er mir seine Ideen vorstellte, war ich sofort begeistert. Wir hatten an unserem College ein Häusersystem, so ähnlich wie in Harry Potter. Alle Studierenden werden zufällig einem Haus zugeordnet, das einen Namen, einen Gründer, eine Farbe und ein damit verbundenes Tier hat. Unser Haus wurde Wonnacott genannt, benannt nach Erica Wonnacott, einer der wenigen weiblichen Gründerinnen eines Hauses, die in den 70er Jahren in Middlebury gearbeitet haben. Hinter unserem Schlafsaal gab es ein riesiges Feld, wo wir das erste Quidditchspiel veranstaltet haben. Der Dekan des Wonnacott Commons gab uns ein wenig Geld, um eine Grundausstattung für das erste Spiel zu kaufen. Alle trugen Handtücher als Umhänge, und eine Person dachte, wir müssten unsere eigenen Besen mitbringen, und weil sie keinen finden konnte, brachte sie eine billige Stehlampe aus ihrem Wohnheim mit. Wir hatten auch nicht genug Hula-Hoop-Reifen, so dass jedes Team eine Mülltonne für eines seiner Tore nutze, und einmal wurde eine Tonne umgestoßen, und leere Bierdosen von Partys am Vorabend wurden überall verschüttet!

MUS: Du hast bereits erwähnt, dass dein Freund Xander die eigentliche Idee hatte. Von ihm hört man heute gar nichts mehr. Weißt du, wie und warum er den Sport verlassen hat? Hast du noch Kontakt zu ihm?

Benepe: Ja, ich stehe immer noch in Kontakt mit ihm. Das letzte Mal habe ich ihn vor einigen Jahren gesehen, als er in Los Angeles war, wo ich lebe. Er ist Professor an der McGill University in Montreal, und davor lebte er viele Jahre lang in Hongkong. Er ist ein wirklich brillanter Mensch. Ich glaube, nach einer Quidditch-Saison hatte er genug und wollte zur nächsten Sache übergehen. Also sagte er mir, ich solle die Zügel in die Hand nehmen und Quidditch weiterführen. Ich habe mich seitdem sehr bemüht, ihn dazu zu bewegen, zu einem Quidditch-Turnier zu kommen, damit er sich persönlich ein Bild davon machen kann, wie sehr sich der Sport entwickelt hat. Aber es hat noch nicht geklappt. Eines Tages werden wir ihn dazu bringen, zur Weltmeisterschaft zu kommen! 

Alex Benepe führt 2017 die Closing Ceremonies des Zehnten US Quidditch Cups in Kissimmee (Florida) durch. © Isabella Gong

Alex Benepe führt 2017 die Closing Ceremonies des Zehnten US Quidditch Cups in Kissimmee (Florida) durch.

© Isabella Gong

MUS: Was ist deine liebste Erinnerung innerhalb des Quidditch-Kosmos?

Benepe: Eine meiner Lieblingserinnerungen ist, als wir ein Spiel veranstaltet haben, das live auf CBS, einem großen Nachrichtensender in den USA, ausgestrahlt werden sollte. Es war ein sehr kalter regnerischer Frühlingsmorgen. Wir wollten auf dem Hauptsportfeld meines College spielen. Aber das College wollte uns wegen des Regens zunächst nicht spielen lassen. Sie hatten Angst, dass wir das Spielfeld zerstören würden. Letztendlich erlaubte es uns der Präsident des Colleges doch. Also veranstalteten wir ein Live-Spiel für zwei Millionen Menschen. Es war eiskalt, und am Ende waren alle mit Schlamm bedeckt.Eine weitere tolle Erinnerung hat sich nach dem fünften World Cup zugetragen, als noch überwiegend US-Teams antraten. Es war der zweite World Cup in New York City. Wir hatten zehn bis zwölf Spielfelder, die gleichzeitig bespielt wurden und es waren 10.000 Menschen dort. Es war unsere größte Veranstaltung aller Zeiten. Nachdem es vorbei war, mussten wir Aufräumen und das war Wahnsinn. Wir hatten kein professionelles Aufräumteam. Es waren nur Freiwillige, die in Golf Carts mit Müllsäcken herumfuhren und alles aufräumten. Wir waren so erschöpft. Es war Nacht, es war kalt. Eine Brise wehte vom Fluss herauf. Dann fanden wir unter dem Stuhl von jemandem einen Haufen ungeöffneter 1,2-Liter-Bierflaschen. Also machten wir eine Pause vom Aufräumen und betranken uns richtig. Und meine letzte Lieblingserinnerung ist der Besuch der Weltmeisterschaft in Frankfurt 2016. Es war unsere erste wirklich große Weltmeisterschaft mit vielen Nationen. Ich glaube, es waren 19 Nationen dabei. All diese verschiedenen Länder dort vertreten zu sehen und all diese Spieler*innen zu treffen war toll. In meiner Eröffnungsrede begrüßte ich jedes Land mit dem Wort “Willkommen” in der jeweiligen Sprache. Das war wirklich cool und es hat Spaß gemacht, so viele verschiedene Mannschaften aus der ganzen Welt zu treffen. Ich konnte es kaum glauben.

MUS: Was sind einige der Regeln von damals, die aus heutiger Sicht seltsam erscheinen? 

Benepe: Die erste seltsame Regel betraf die Bludger. Als wir damals anfingen, musste man sich dreimal drehen, wenn man von einem Bludger getroffen wurde. Das war alles. Man musste nicht zu den Ringen zurücklaufen. Nach etwa einem Jahr stellten wir fest, dass es ein bisschen albern war und dass es viel effektiver wäre, wenn man zurücklaufen müsste. Am Anfang gab es auch nur zwei Bludger wie in den Büchern. Aber wir stellten bald fest, dass es nicht ganz so gut funktionierte, weil man sie in der Hand hält, anstatt sie mit Schlägern zu schlagen, wie in den Büchern. Also erhöhten wir auf drei Bluder. Auf diese Weise hat ein Team mindestens immer einen Bludger. Heute ist dies ein so zentraler Spielaspekt geworden.Ein weiteres interessantes Thema ist die Entwicklung des Schnatz. Am Anfang konnte der Snitch Runner das Spielfeld verlassen und so ziemlich überall auf dem Campus hingehen. Der Snitch Runner lief also sehr weit und kletterte sogar auf Bäume oder Gebäude oder ging in die Mensa, um etwas zu essen.Eine andere Sache ist, dass es nur einen Schiedsrichter und keine Stirnbänder gab. Es war so ziemlich unmöglich, ein Spiel als Schiedsrichter zu leiten. Im zweiten oder dritten Jahr kam mein Freund Christopher auf die Idee, farbige Stirnbänder einzuführen, um die Position der Spielenden zu kennzeichnen.Eine weitere Regel ist die Spielfeldbegrenzung. Sie hat sich im Laufe der Zeit so sehr verändert. Als wir anfingen, gab es gar keine Spielfeldbegrenzung. Ich meine, wir haben eine Linie gemalt, weil es cool aussah, aber es war eher als Vorschlag zu sehen. Es gab sogar Spieler*innen, die den Ball nehmen und um das Publikum herumliefen, um ein Tor zu erzielen. Da haben wir gemerkt, dass es ein bisschen lächerlich wurde. 

MUS: Du hast über das Hinzufügen der Stirnbänder gesprochen. In der Gemeinschaft wird seit längerem darüber diskutiert, die Farben zu ändern, da ein dunkles Grün für Keeper und Schwarz für Beater ebenso ähnlich aussehen, wie ein helles Grün und ein helles Gelb für Seeker. Welche siehst du das?

Benepe: Es gab damals einen Grund, warum wir uns für die vier Farben entschieden haben. Wir haben weiß für die Chaser gewählt, weil sie den Quaffle verwenden, der ein Volleyball ist und der normalerweise weiß ist. Und wir haben schwarz für die Beater gewählt, denn bei einem Yin und Yang sind schwarz und weiß die Gegensätze, und die Beater zielen meistens auf die Chaser. Für die Keeper haben wir uns für grün entschieden, weil sie die Beschützer*innen sind und Grün die Farbe des Schutzes ist. Und die Seeker sind gelb, weil es die Farbe des Schnatzes ist. Mir ist es aber egal, ob die Farben geändert werden. Wir sollten die Farben verwenden, die für das Spiel am besten funktionieren.

MUS: Was vermisst du am meisten an Quidditch in der Anfangsphase?

Benepe: Ich glaube, die Snitch Runner haben damals viel mehr Spaß gemacht, weil sie das Spielfeld verlassen und all diese Späße treiben konnten. Es war ein bisschen eher wie im Zirkus. Es war unterhaltsamer für das Publikum, aber wahrscheinlich auch frustrierend für die Spielenden. 

MUS: Was hat sich zum Besseren verändert? 

Benepe: Die Gender Rule hat sich zum Besseren verändert. Als ich im College war und wir 2005 zum ersten Mal Quidditch spielten, gab es viel weniger Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit. In diesem Alter hatte ich wenig Bewusstsein für das Geschlechterspektrum. Als wir also die ersten Regeln aufgestellt haben, ging es nur darum, wie viele männliche und weibliche Spieler*innen auf dem Spielfeld benötigt werden, so dass kein Platz für nicht-binäre Spieler blieb. Diese Regel hat sich stark weiterentwickelt und zieht heute das gesamte Geschlechterspektrum mit ein. Als wir anfingen, war Quidditch eine Sportart, die Frauen und Männer gemeinsam betrieben. Jetzt ist es eine wirklich gemischtgeschlechtliche Sportart. Das war eine der besten und wichtigsten Entwicklungen in diesem Sport. 

MUS: Warum habt ihr Quidditch als gemischtgeschlechtlichen Vollkontaktsport umgesetzt? 

Benepe: Wir wollten mit allen unseren Freund*innen spielen und es nicht trennen. Außerdem haben uns die Bücher inspiriert. Auch dort ist der Sport gemischtgeschlechtlich. 

MUS: Habt ihr damit gerechnet, dass Quidditch sich zu einem Sport entwickeln würde, der sich auf der ganzen Welt verbreitet? 

Benepe: Ich glaub nicht, dass ich das volle Wachstumspotenzial des Sports vor dem dritten Jahr erkannt habe. Wir hatten zwar einen großen Artikel über Quidditch in der Zeitung USA Today im zweiten Jahr, aber die Universität hat uns selbst im dritten Jahr nicht als offizielle Hochschulorganisation anerkannt. Aber ich ging trotzdem zu der Messe, auf der sich die Hochschulorganisationen präsentieren konnten und fand einen leeren Tisch, machte einige Schilder und gab vor, eine Hochschulorganisation zu sein. Die neuen Studierenden hatten durch den Artikel von Quidditch gehört und waren richtig heiß darauf. 300 von ihnen haben sich angemeldet und in diesem Jahr haben wir den ersten “World Cup” ausgetragen, der eigentlich ein Middlebury-internes Turnier war, zusammen mit einem anderen College-Team (Vassar College). Als wir im nächsten Jahr wieder einen Antrag auf Anerkennung als Hochschulorganisation stellten, wurden ihm einstimmig stattgegeben. 

MUS: Glaubst du, dass Quidditch überleben wird, wenn die "Harry-Potter-Generation" altert? 

Benepe: Das ist eine gute Frage. Ich habe das Gefühl, dass Harry Potter die neue Generation nicht erreicht. Vielleicht wird Harry Potter wie Star Wars werden und einfach für eine Weile in den Hintergrund treten. Und dann in einigen Jahren wird irgendein großes Filmstudio es zurückbringen. Und in der Zwischenzeit gibt es die Filmparks, die jeder liebt, und ab und zu ein paar App-Spiele. Es gibt so viel Potenzial in der Welt von Harry Potter. Aber ja, ich habe das Gefühl, dass es eine Generationslücke gibt. 

MUS: Welche Auswirkungen wird die Covid19-Pandemie deiner Meinung nach in der Zukunft auf den Sport haben?

Benepe: Im Moment hat sie definitiv enormen Auswirkungen auf den Sport. Jedes Event, bei dem Menschen vor Ort sein müssen, ist für die nächsten ein oder zwei Jahre wirklich ungewiss, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht. Jeder, der E-Sport betreibt, hat ziemlich viel Glück. Aber wir werden das durchstehen. Es wird nur für eine Weile einige Dinge ändern.

MUS: Hast du das Regelwerk in seiner Gesamtheit gelesen?

Benepe: Nein. Das habe ich vor ein paar Jahren versucht. Ich saß in einem Flugzeug, um zu einem der Turniere zu fliegen, als ich beschloss, die Zeit dafür zu nutzen. Aber nach etwa einem Drittel der Zeit bin ich eingeschlafen. Das soll kein Angriff auf das Rule Book Team sein. Es leistet großartige Arbeit. Jedes Jahr wird Quidditch besser und sicherer. Trotzdem ist das Rule Book schwer zu lesen. 

MUS: Was war dein größter Erfolg als Spieler?

Benepe: Ich habe zwei Erfolge als Spieler. Der eine war das allererste Turnier, das wir 2005 auf unserem Campus ausgerichtet haben. Ich war Seeker für meine Mannschaft und wir gewannen die Meisterschaft, weil ich den entscheidenden Snitch Catch machte. Es war ein richtiger Dive. Der Schnatz lief in voller Geschwindigkeit vor mir davon, und ich sprang hinterher und schnappte ihn mir mitten in der Luft. Die andere Erfahrung war 2011. Wir hatten eine Veranstaltung namens QuidCon organisiert, eine kleine Convention für Quidditch-Spieler. Dort gab es ein Fantasy Turnier, welches mein Team gewonnen hat. Ich habe als Chaser mit vielen Toren dazu beigetragen. Aber seitdem habe ich nicht mehr viel gespielt. Damals, als ich noch spielte, war das Fangen mit zwei Händen noch nicht etabliert. Wenn ich jetzt spielen würde, sähe ich wie ein Idiot aus. Bei der letzten Weltmeisterschaft gab es ein Veteranenspiel und ich war so schlecht. Ich glaube, ich habe nicht ein einziges Tor gemacht. 

Bei großen Turnieren ist er immer dabei: Hier überblickt Alex Benepe das Hauptspielfeld des Elften US Quidditch Cups in Round Rock (Texas) im Jahr 2018.  © Jeni Craswell

Bei großen Turnieren ist er immer dabei: Hier überblickt Alex Benepe das Hauptspielfeld des Elften US Quidditch Cups in Round Rock (Texas) im Jahr 2018.
© Jeni Craswell

MUS: Bist du immer noch in Quidditch involviert?

Benepe: Meine einzige Beteiligung besteht jetzt darin, dass ich im Board der International Quidditch Association (IQA) bin. Aber ich bin nicht das engagierteste Mitglied. Außerdem habe ich mit einigen anderen ehemaligen Quidditch-Spieler*innen eine kleine Organisation namens Quidditch Alumni Organization gegründet. Das Ziel ist es, die Menschen auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Sport mit Quidditch in Verbindung zu halten und Geld zu sammeln, um es dem Sport zurückzugeben.

MUS: Welche Auswirkungen hat Quidditch rückblickend auf dein Leben gehabt?

Benepe: Quidditch hatte einfach auf alles Auswirkungen. Ich wäre nicht in Los Angeles, wenn es Quidditch nicht gegeben hätte. Ich bin mit meiner damaligen Freundin hierher gezogen, die ebenfalls Quidditch-Spielerin war. Meinen jetzigen Job habe ich über Quidditch-Verbindungen bekommen. Quidditch hat mir so viel von meinem Leben geschenkt, und ich bin sehr dankbar dafür.

 

Die Fragen stellte Hannah Wolff.


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