"Die Bälle kommen mit 70km/h angerauscht"

 

Dieser Text ist für den Blog „Fan von DIR“ verfasst worden und wird im Rahmen einer Kooperation auch bei MUS veröffentlicht. In loser Reihenfolge könnt Ihr hier immer mal wieder passende Texte des Blogs zu unpopulären Sportarten lesen. Der Blog „Fan von DIR“ richtet den Fokus auf Frauen im Sport. Es stellen sich dort wöchentlich Sportlerinnen aus ganz Deutschland vor – von Schiedsrichterinnen über Freizeitsportlerinnen, Ehrenamtlerinnen und Frauen im Berufsfeld Sport bis hin zu Olympionikinnen. "Fan von DIR" bietet so eine Plattform, die gegen Klischees und Vorurteile im Sport kämpft und Sportlerinnen ihre Geschichte erzählen lässt.


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Irmina Reithmair und Renate Hundsberger spielen den Blindensport Torball. Eine kann sehen, die andere nicht. Im Interview mit “Fan von DIR” erzählen sie wie ihr Sport inklusiv funktioniert, wie sie auch abseits des Trainings gemeinsam Sport machen und mit welchen Schwierigkeiten Sehende zu kämpfen haben.

Fan von DIR: Hallo ihr beiden, wie ist euer sportlicher Werdegang und woher kommt eure Liebe zum Sport?

Irmina Reithmair: Ich habe schon als Kind viel Sport gemacht und auch verschiedene Sportarten ausprobiert. Hauptsächlich habe ich als Jugendliche Eiskunstlaufen und Leichtathletik betrieben. Durch eine gewisse Grundsportlichkeit und meine als Kind erlernten grundlegenden Bewegungsmuster, habe ich mich beim Erlernen neuer Bewegungsabläufe allerdings immer schon sehr leicht getan und so kann ich auch bei Ballsportarten wie Tennis oder Badminton bis zu einem gewissen Level mitspielen. Ich finde es auch immer spannend neue Sportarten auszuprobieren und zu sehen, wie viel mir meine erlernten Fähigkeiten schon helfen können. Meine Liebe zum Sport kommt von der Freude an Bewegung.

Renate Hundsberger: Ich habe mich auch schon immer gerne und viel bewegt, vor allem als Kind auf dem Land ist das ganz normal. So richtig mit Sport habe ich dann irgendwann mit dem Joggen angefangen. Mittlerweile ist ein gutes Laufen daraus geworden und ich nehme auch gerne an Hobbyläufen teil. Ausdauersport liegt mir sehr und macht mir viel Spaß. Danach kam dann das Torball dazu, welches ich 1986 im Rehawerk in Würzburg kennengelernt habe, damals noch als Hobbysport. Seit 1994 spiele ich in München und seit 1996 in der Nationalmannschaft, zuletzt auch als Kapitänin.

Irmina, wieso hast du dich als sehende Person dazu entschieden, einen inklusiven Sport auszuüben?

Irmina: Über ein Uni-Projekt zur Trainingssteuerung kamen zwei Kommilitoninnen und ich zur Torballsparte des BSV München (Radfahren, Schwimmen oder Laufen war schon zu ausgelutscht). Wir haben die Teams über mehrere Wochen bei den Trainings begleitet und da wurde irgendwann das Interesse geweckt Torball auch mal selbst auszuprobieren. Lange habe ich mich nicht getraut, da ich nach den Messungen wusste, dass die Bälle auch mal mit 70km/h angerauscht kommen. Nach einigem gut zureden, bin ich nach wenigen Monaten nochmal dazugekommen und habe angefangen, mitzuspielen. Da mein bisher wichtigster Lernsinn, das Sehen, durch die Schwarzbrille ausgeschaltet wurde, habe ich mich anfangs sehr schwer getan. Ein bis dato sehr unbekanntes Gefühl! Als Sehende merkt man erst dann, wie sehr man auf die Augen als Feedbackorgan angewiesen ist und wie wenig man dem Richtungshören vertraut. Irgendwann war es eine Herausforderung auch ohne Augen besser zu werden und eine lange Lernkurve, dass es nicht ganz so schnell ging, wie sonst.


“Als `Blinde’ bin ich noch unsicher”


Wie können sich die Leser*innen Torball vorstellen?

Irmina: Torball ist ein reiner Blindensport – keine Adaption, wie zum Bespiel der Blindenfußball, sondern ein Sport nur für Blinde und Sehbehinderte. Es wird in zwei Teams zu je drei Spieler*innen gespielt. Pro Team steht ein Feld von 6x7m zur Verfügung. Als Orientierungshilfe liegen drei Matten in dem Feld und am Ende steht das Tor über die komplette Spielfeldbreite.

Renate: Genau. Zwischen den Feldern der Teams gibt es dann einen 4m langen „toten Raum“, über welchem drei Seile auf Kniehöhe (40cm) gespannt sind. Der Ball, der durch innenliegende Metallteile hörbar wird, muss unter den Seilen durchgerollt oder geworfen werden. Jeder Spieler muss abwehren und kann auch gleichberechtigt werfen. Es wird zu zwei Hälften à 5min reine Spielzeit gespielt. Gewonnen hat die Mannschaft mit den meisten erzielten Toren.

Was macht euch daran besonders Spaß?  

Renate: Ich mag daran besonders, dass es ein Mannschaftssport ist und man im Team um Tore kämpft. Die Gemeinschaft ist mir dabei besonders wichtig und die Freundschaften, die entstehen, sind sehr eng. Am meisten bin ich motiviert, wenn wir gewinnen oder gut platziert sind. Manchmal reicht es aber auch schon aus, den Gegner zu ärgern, das tröstet darüber hinweg, wenn man mal nicht gewonnen hat.

Irmina: Stimmt, durch das Gewinnen bin ich auch am meisten motiviert. Ich finde es spannend, dass man als Team spielt, aber doch sehr viel individuell unterwegs ist. Vielleicht kommt mir das nur so vor, da ich es gewohnt bin, die Menschen in meinem Team zu sehen und die Schwarzbrille es für mich etwas abgeschotteter erscheinen lässt. Ich finde es auch schön, dass das Team mit drei Personen eine angenehme Größe hat, um sich sehr gut zu kennen und auch gut zu wissen, wie jemand spielt und trotzdem auf dem Feld noch genügend Platz zu haben. Den brauche ich auch – als „Blinde“ bin ich noch sehr unsicher und hab Angst jemanden umzulaufen.

Wie sieht eure typische Trainingswoche aus?

Renate: Wir versuchen einmal die Woche ins Torballtraining zu gehen und ansonsten hält sich jeder individuell fit.

Irmina: Ja, eine gute Fitness und Ausdauer helfen schon sehr als Grundlage, auf der man aufbauen kann. Renate braucht ja kaum noch Techniktraining. Das ist bei mir ja anders. Ich mach noch viel über meine Grundsportlichkeit.

Wo sind für euch Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Sport für Personen mit und ohne Behinderung?

Irmina: Im Endeffekt gibt es im Team keinen Unterschied – auch das Training läuft ähnlich ab. Jede*r hat Ziele auf die er oder sie hinarbeitet, gute und schlechte Einheiten, mal mehr mal weniger Erfolg. Nach dem Training gehen wir auch mal was trinken, in der Umkleide wird getratscht und im Training auch mal ein Witzchen gemacht – das läuft im Großen und Ganzen relativ ähnlich wie im Sehendensport ab. Die Blinden sind relativ selbstständig in der Trainingshalle unterwegs, da merkt man auch als Außenstehende*r wenig.

Renate: Im Sport und Spiel gibt es im Prinzip keine Unterschiede. Wir brauchen halt die Sehenden zum Schiedsrichten, Ball anreichen und ganz besonders auf fremdem Gelände wie bei Turnieren bzw. der Anreise dorthin und das Zurechtfinden in der Halle.

Irmina: Stimmt, da gehen wir dann immer vorher das Spielfeld ab. Was ich auf einen Blick sehe, muss Renate ertasten bzw. erzähl ich ihr dann.

Was waren eure größten Erfolge?

Irmina: Ich bin mit Turnieren zufrieden, bei denen ich meine beste Leistung abrufen konnte. Ich werde erstmal nicht mit dem feinen Gehör der Blinden mithalten können und freu mich über die kleinen Dinge. Wir haben insgesamt viele gute Platzierungen bei Turnieren erzielt und wenn ich meine Leistung abrufen kann ist das für mich ein toller Erfolg.

Renate: Ich war sieben Mal deutsche Meisterin, einmal Europameisterin und dreimal Weltmeisterin. Zudem habe ich mit dem Team auch den Europacup gewonnen.

Irmina: Während ich froh über jeden Ball bin, den ich halte und jedes Tor, das ich werfe.


“Es ist von Vorteil in gemischten Teams zu spielen”


Gab es auch Rückschläge?

Irmina: Es gibt Trainingstage, an denen ich das Gefühl habe, ich höre weder die Richtung noch die Geschwindigkeit des Balles. Da bin ich mir sicher zu hören, dass er aus dem linken Eck kommt und weit weg von mir sein muss und auf einmal merke ich, wie er an mir vorbei rollt. Als wären die letzten Trainingsjahre umsonst gewesen – das frustriert schon sehr.

Renate: Mei. Wenn‘s nicht läuft, dann läuft‘s nicht. Damit kann ich aber leben. Am meisten haben mich Verletzungen zurückgeworfen, da es ein sehr langer Weg zurück zu sportlichen Aktivitäten ist.

Was bedeutet für euch Inklusion?

Renate: Für mich bedeutet es, dass Behinderte von Nicht Behinderten im Sport mitgenommen werden bzw. mitmachen können und Unterstützung bekommen. Beim Schwimmen im Freiwasser werde ich z.B. durch ein Verbindungsseil mitgenommen. Das Irmina bei uns mitspielt ist auch Inklusion.

Irmina: Wir haben ja auch den Stadtlauf in Stuttgart zusammen gemacht. Ich habe Renate an einem Seil mitgenommen und sie hat sich dafür meinem langsamerem Lauftempo angepasst. Ich kann sie mitnehmen und muss nicht ganz alleine laufen. So haben wir beide was davon.

Und inwieweit schreibt ihr eurem Sport eine inklusive Funktion zu?

Irmina: Torball ist ein reiner Sport für Blinde. Da es Matten zur Orientierung gibt und auch sonst kein Körperkontakt besteht, ist er für Sehende relativ sicher auszuprobieren. Ich finde, das erlaubt die Möglichkeit, gemischte Teams zu machen. Allerdings sollte dies nicht auf Kosten der Sehbehinderten gehen – zum Beispiel ist es in der Schweiz erlaubt, dass ein ganzes Team aus Vollsehenden besteht. In Deutschland darf pro Team nur eine sehende Person spielen. Im Training kann man hier sicherlich gut inklusiv arbeiten.

Renate: Es ist von Vorteil in gemischten Teams zu spielen, da es im Torball einen Spieler*innenmangel gibt. Vor allem bei den Frauenteams werden es immer weniger. So kann der Sport und der Ligabetrieb noch erhalten bleiben. Wir gehen ab und zu vor oder nach dem Torballtraining noch laufen. Das Konditionstraining hat schon einen inklusiven Faktor, da wir ja gemeinsam laufen.

Gibt es auch Vorurteile, mit denen ihr zu kämpfen habt?

Renate: Manche unterschätzen mich schon arg oder schätzen mich nicht als vollwertig ein. Manchmal werde ich ungläubig betrachtet: „Sie arbeiten noch und machen auch noch Sport?“. Ich denke dann immer: Wieso soll ich denn nicht mehr arbeiten? Manche sind im Umgang mit mir total gehemmt und auch verklemmt. Andere hingegen würden mir am liebsten alles abnehmen und sind überhilfsbereit. Allerdings ist es immer so, dass, wenn ich Hilfe brauche, z.B. weil ich am Bahnhof zum Gleis muss oder ich es eilig habe, dann niemand da ist. Und an anderen Tagen kann ich kaum einen Kilometer gehen ohne „Danke, ich komm klar“ zu sagen. Da frag ich mich, ob ich eine Zielscheibe mit „Ich bin hilflos“ an mir trage.

Irmina: Es ist aber für Sehende ohne Erfahrung mit Blinden schon etwas schwierig, wie man sich am Besten verhält. Man will ja nichts verkehrt machen und man hört darüber immer zwei Meinungen. Zum Beispiel, dass man nicht helfen soll, weil man dem anderen Menschen ein Gefühl des „Du-brauchst-Hilfe-und-kommst-nicht-alleine-zurecht“ vermittelt. Auf der anderen Seite hat jemandem Hilfe anbieten noch nie geschadet. Ich glaube, dass viele Menschen einfach unsicher sind und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, was dann eben zu der Hemmung bzw. des Überhilfsbereiten führt.

Was wünscht ihr euch für euren Sport?

Irmina: Gerne würde ich mir wünschen, dass der Sport bekannter ist und ihn mehr Leute ausprobieren können. Zudem wäre es schön, auch im Jugendbereich, gerade für Blinde, mehr Werbung dafür zu machen, da Torball einer der wenigen Sportarten für Sehbehinderte ist, der ohne die Hilfe von Sehenden (außer den Schiedsrichter*innen) gespielt werden kann.

Renate: Ja, Nachwuchs wäre toll. Wenn der Sport bekannter wäre, dann würden wir bestimmt mehr Spieler*innen bekommen und könnten noch mehr Turniere mit mehr Mannschaften spielen. Ich würde mir einen schönen vollen Turnier- und Meisterschaftskalender wünschen.

Habt ihr noch große Ziele?

Renate: Weiterhin Spaß am Torball.

Irmina: Du hast ja schon alles erreicht. Mir reicht es als Ziel, mal etwas regelmäßiger das Tor zu treffen.

Und zum Abschluss: Was ist euer Tipp an andere?

Renate: Bewegung und soziale Kontakte sind sehr wichtig. Für eingeschränkte Personen ganz besonders. Gerade die Kontakte und Gruppendynamik mit Leuten mit und ohne Behinderung sind gut und vorteilhaft für alle Beteiligten.

Irmina: Da kann ich Dir nur zustimmen.