„Ich habe mir gedacht: Offenbar braucht die IQA Hilfe!“

 
Friederike Reimer im Einsatz für Looping Lux Leipzig bei der Deutschen Meisterschaft 2019.© Frederik Hinrichs

Friederike Reimer im Einsatz für Looping Lux Leipzig bei der Deutschen Meisterschaft 2019.

© Frederik Hinrichs


Die IQA steht innerhalb der Quidditch-Community immer mal wieder in der Kritik. Warum der Quidditch-Weltverband hin und wieder einen schlechten Ruf hat, erklärt IQA-Insiderin Friederike Reimer. Sie war bis vor wenigen Tagen Leiterin der HR-Abteilung bei der IQA und drückt in diesem MUS-Interview ihre persönliche Sichtweise auf die Geschehnisse im internationalen Quidditch aus.

Im MUS-Interview spricht sie über die psychischen Belastungen ihres ehrenamtlichen Jobs, erzählt aber auch von den großen Freuden, die diese international geprägte Tätigkeit mit sich bringt. Für Rike Reimer steht fest, dass viele Probleme der IQA auf personelle Unterbesetzung zurückzuführen sind. Vor allem die Kommunikation leidet unter dem Personalmangel. Dahinter steht für die Spielerin von Looping Lux Leipzig ein grundsätzliches Mentalitätsproblem in der Quidditch-Community. Weitere Themen im Interview beziehen sich auf das Problem Rassismus im Hinblick auf eine mögliche WM in den USA und die Frage, ob man in der Türkei ein internationales Quidditch-Turnier austragen kann.


MUS: Die erste Frage kann aktuell nur eine sein: Wann glaubst du, erleben wir wieder Quidditch-Spiele?

Rike Reimer: Ich hoffe sehr auf den Sommer. Vielleicht läuft der Ligabetrieb dann wieder an. Aber internationale Turniere sehe ich noch skeptisch.

Anders als andere unpopuläre Sportarten hat Quidditch im vergangenen Spätsommer, als die Infektionszahlen niedrig waren, keine Wettbewerbe gespielt. War das aus deiner Perspektive die richtige Entscheidung?

Ich denke, das ist schwierig zu vergleichen. Wenn man das Thema aus der internationalen Perspektive betrachtet, fällt auf, dass in Südamerika aktuell Quidditch gespielt wird, weil dort Sommer ist. Aber wie gesagt, der Vergleich ist schwierig. In Deutschland durften wir immerhin im Sommer und Herbst wieder trainieren. Das war ja auch nicht in allen Ländern der Fall.

Bis vor wenigen Tagen hast du für den Internationalen Quidditchverband (IQA) als Direktorin in der Personalabteilung gearbeitet. Warum hast du diesen Job jetzt aufgegeben?

Zum einen möchte ich mich in meinem Leben jetzt auf andere Themen konzentrieren und zum anderen habe ich einfach nicht mehr so viel Energie für diese Arbeit. Ich habe das jetzt zwei Jahre gemacht und in diesen zwei Jahren gab es nie wirklich eine größere Pause. Deshalb ist auch nicht zu bestreiten, dass die Arbeit bei der IQA zu einer Belastung für meine eigene mentale Gesundheit geworden ist. Trotzdem werde ich dem Quidditch natürlich erhalten bleiben.

Das Thema mentale Gesundheit kommt ja immer mal wieder auf, wenn es um die Belastungen der Quidditch-Verbandsarbeit geht. Kannst du da deine Erfahrungen konkreter schildern?

Grundsätzlich: Trotz der mentalen Belastung überwiegt eindeutig das Positive. Für mich war die Entscheidung zur IQA zu gehen eine der besten Entscheidungen, die ich in den vergangenen Jahren getroffen habe. Ich habe so viel gelernt und mir wurde so viel Verantwortung übertragen, dass ich diese Zeit auf keinen Fall missen will. Mein Selbstbewusstsein ist gestiegen und außerdem habe ich viele neue Sachen gelernt. So habe ich zum Beispiel einen Jahresabschlussbericht koordiniert. Das sind alles Themen und Fähigkeiten, die ich jetzt bei beruflichen Bewerbungen in meinen Lebenslauf aufnehmen kann.
Trotzdem gibt es natürlich negative Aspekte. Öffentliche Wertschätzung ist schon ein wichtiger Punkt, wenn es darum geht, dass mich die Verbandsarbeit befriedigt. Wenn die ausbleibt, ist das nicht schön. Für mich war aber eher entscheidend, dass meine Arbeit an sich belastend war. Ich war zum Beispiel Teil eines Komitees, was sich mit dem Thema Belästigung in der Quidditch-Community auseinandergesetzt hat. Das ist natürlich auch emotional nicht einfach, wenn man die entsprechenden Berichte liest. Ganz grundsätzlich kommt mit der höheren Hierarchieposition natürlich auch mehr Arbeit auf einen zu, die nicht mehr so viel Spaß macht. Da leidet die mentale Gesundheit dann etwas – vor allem wenn es um diese in Corona-Zeiten sowieso nicht so gut bestellt ist.

Das Logo der International Quidditch Association.Quelle: https://www.iqasport.com/

Das Logo der International Quidditch Association.

Quelle: https://www.iqasport.com/


“Es ist ein Teufelskreis”


Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du vor 2 Jahren bei der IQA angefangen hast?

Ich wollte grundsätzlich etwas für den Sport tun. Vor zwei Jahren stand die IQA öffentlich durchaus in der Kritik. Es gab in der Quidditch-Community zum Beispiel diverse Memes, die etwas über die IQA hergezogen sind. Weil ich ein lösungsorientierter Mensch bin, habe ich mir dann gedacht: Offenbar brauchen die etwas Hilfe – ich schaue mal, ob ich etwas beitragen kann. Dementsprechend habe ich dann bei der IQA angefangen und diese Tätigkeit ist sehr schnell sehr umfangreich geworden. Ich hätte gar nicht erwartet, dass ich dort eine Führungsposition bekleiden kann. Schließlich war ich zu dem Zeitpunkt auch noch ziemlich jung. Aber mein Beispiel zeigt, wie schnell man in dieser Organisation etwas erreichen kann, wenn man die nötige Energie und Motivation hat.

Du sagst, dass die IQA öffentlich in der Kritik stand. Nach wie vor hat die IQA, wie so viele Sportdachverbände, nicht den besten Ruf. Wie kann man das ändern?

Das stimmt. Tatsächlich hat die IQA nach wie vor nicht den besten Ruf. Ich denke aber, dass sich schon einiges zum Positiven geändert hat. Wenn wir die Situation zum Beispiel mit 2016 vergleichen, hat sich, alleine personell und was die Führungsstruktur angeht, vieles positiv entwickelt. Die IQA steht heute besser da als nach der WM 2016. Wir sind zum Beispiel viel internationaler geworden. Die USA ist innerhalb des Weltverbands nicht mehr so dominant. Ansonsten ist die öffentliche Wahrnehmung natürlich auch immer eine Frage der Kommunikation. Wenn die Kommunikationsabteilung allerdings unterbesetzt ist, kann man der Öffentlichkeit oft gar nicht all die positiven Dinge mitteilen, die die IQA erreicht hat. Das ist leider ein kleiner Teufelskreis.

Dass zahlreiche Stellen bei der IQA nicht besetzt sind, weil sich niemand darauf bewirbt, ist ja ein bekanntes Problem. Warum ist es so schwierig Menschen für diese Posten zu begeistern?

Einerseits ist das wie gesagt ein Kommunikationsproblem, andererseits ist das auch ein grundsätzliches Thema. Wir sind als Sport inzwischen so groß und das Ganze so viel organisatorischer Aufwand, dass dieser Aufwand von unbezahlten Volunteers eigentlich nicht machbar ist. Gleichzeitig sind wir als Sport aber noch so klein, dass wir die Leute nicht bezahlen können für ihre Verbandstätigkeiten. In der Quidditch-Community ist es außerdem so, dass sehr viele Leute von dem profitieren, was sehr wenige Leute in den Verbänden tun. Wie viel Arbeit in den Verbänden hinter Quidditch-Turnieren steckt, wird aber oft nicht gesehen. Und so lange das nicht gesehen wird, ist dieses Thema sehr leicht auszublenden und es fällt den Menschen leichter, einfach so mit dabei zu sein ohne selbst etwas organisatorisch beizusteuern. Hier spielt das Kommunikationsproblem wieder eine Rolle. Die IQA kann aufgrund von Personalmangel nur das kommunizieren, was absolut nötig ist. Das führt aber dazu, dass gar nicht sichtbar wird, was die IQA sonst noch alles macht und wie viel Arbeit dahinter steckt. Es ist gar nicht ersichtlich wie schön die Arbeit bei der IQA eigentlich ist.


“Teilweise drohen Geldprobleme”


Was war denn für dich der schönste Moment oder dein größter Erfolg in deiner IQA-Karriere?

Schwierige Frage. Den Jahresabschlussbericht rausgebracht zu haben, war schon eine tolle Sache. Aber da war hauptsächlich der Gedanke: Zum Glück ist das jetzt abgeschlossen. Allgemein denke ich, es gibt nicht den einen Moment, sondern es sind eher die vielen persönlichen Begegnungen auf menschlicher Ebene, die besonders schön sind. Oft saßen wir nach einem Meeting noch eine Stunde zusammen und haben einfach etwas gequatscht. Man sitzt dann da mit Menschen aus fünf verschiedenen Zeitzonen und unterhält sich noch über dieses und jenes. Das sind die schönen Momente.

Am sichtbarsten ist die IQA natürlich bei der Quidditch-Weltmeisterschaft, die normalerweise alle zwei Jahre ausgetragen wird. Die ursprünglich für 2020 geplante WM wurde inzwischen auch für 2021 abgesagt. Besteht nicht die Gefahr, dass der Sport in kleineren Quidditch-Ländern wie Brasilien oder Südkorea ganz stirbt, wenn es zwei Jahre gar keine internationalen Spiele gibt?

Ich glaube nicht, dass der Sport in solchen Ländern komplett stirbt, aber die Entwicklung kann schon gehemmt werden. In den vergangenen Monaten hatten wir, als Teil unserer Arbeit bei der IQA, mit vielen Vertretern von nationalen Verbänden Kontakt. Hier haben wir schon gemerkt, dass in einigen Ländern die Luft etwas raus ist. In kleineren Nationen ist es teilweise schwierig, die Verantwortlichen überhaupt zu erreichen, weil die Community hier und dort etwas eingeschlafen ist. Teilweise können sogar Geldprobleme drohen, wenn keine Turniere stattfinden.

Kritiker mögen behaupten, dass die offizielle Begründung nur vorgeschoben ist. Dass sich die IQA nur vor der Entscheidung drücken will, ob sie der USA wegen dem Rassismus-Problem die WM entzieht, wie es gefordert wurde. Was entgegnest du diesen Kritikern?

Ich denke, die Kritik läuft etwas ins Leere, denn im Umfeld dieser WM wurden die NGBs (Verbände der einzelnen Länder) so viel einbezogen wie noch nie zuvor. Im Prinzip hat das nicht die IQA entschieden, sondern die IQA und ihre Mitgliedsverbände gemeinsam. Ich persönlich habe diese Kritik auch nicht wahrgenommen. In meinen Augen waren in den Verbänden hauptsächlich alle erleichtert, dass sie jetzt Planungssicherheit haben.
Was generell das Thema Rassismus angeht, denke ich, dass die IQA hier ganz gut reagiert hat. Wir haben ein temporäres BIPOC-Komitee (BIPOC steht für Black, Indigenous, People of Color. Mehr Infos zu diesem Komitee gibt es hier.) gegründet, dass sich aktuell ausschließlich mit der Frage beschäftigt, ob die USA als Austragungsort für die WM haltbar ist. Grundsätzlich gibt es auf diesem Feld bei der IQA aber noch viel Potenzial. Wir hoffen deshalb, dass die Menschen im BIPOC-Komitee hier vielleicht einen Stein ins Rollen bringen.


“Ich denke, der deutsche Quidditchverband hat einiges an Einfluss”


Was siehst du da konkret für Potenzial?

Wir haben bei der IQA eine Abteilung, die sich mit Diversität und Inklusion beschäftigt. Hier sehe ich noch einige Möglichkeiten. Denn dieses Thema betrifft viele Bereiche. Es geht um Mitgliedsverbände, denen geholfen werden soll, möglichst inklusiv zu sein. Gleichzeitig betrifft das Thema natürlich auch den Personalbereich bei der IQA selbst. Ganz wichtig ist außerdem das Thema Events. Da geht es zum Beispiel um die Frage, ob man als LGBTQ-inklusiver Sport eine EM oder WM in der Türkei ausrichten kann. Das Thema Diversität und Inklusion berührt also viele verschiedene Bereiche in der IQA und deshalb hoffen wir, dass wir dafür vielleicht einige Leute aus dem BIPOC-Komitee rekrutieren können.

Das Thema Türkei ist in der Quidditch-Community ja immer heiß diskutiert. Einerseits eine große Quidditch-Nation, andererseits eine politische Lage, die offen LGBTQ-feindlich ist. Wie siehst du persönlich dieses Thema?

Ein sehr schwieriges Thema. Wenn man die Frage betrachtet, ob das Land sicher genug ist, um als LGBTQ-inklusiver Sport ein Turnier in diesem Land auszutragen, bleibt immer ein Unsicherheitsfaktor. Wie in so vielen Ländern. Ich persönlich würde aber vermutlich in der Türkei kein Turnier ausrichten wollen. Trotzdem gibt es sicherlich Umstände unter denen das möglich ist. Ich mag mich da nicht festlegen.

Bei den internationalen Turnieren gilt weiterhin die Regel, dass maximal vier Personen des gleichen Geschlechts pro Team auf dem Feld stehen dürfen. In Deutschland wurde diese Regel gerändert. Hier dürfen bis zum Seeker-Floor künftig nur noch drei Personen des gleichen Geschlechts auf dem Feld stehen. Ein Ziel ist es so Frauen zu fördern. Was hältst du von dieser Regeländerung?

Rein aus persönlicher Perspektive stand ich oft viel zu lange in großen weiblichen Chaser-Sublines am Spielfeldrand. Deshalb sehe ich die Regeländerung sehr positiv. Ich finde, das ist ein großer Schritt in Richtung mehr Geschlechtergleichheit.

Glaubst du, dass sich die deutsche Regel irgendwann international durchsetzt?

Ich hoffe es sehr. Gerade wenn ich mir die Größe des deutschen Quidditchverbands innerhalb der internationalen Community anschaue, denke ich schon, dass wir einiges an Einfluss haben. Gerade eine starke deutsche Präsenz auf internationalen Turnieren mit dieser Regel kann da bedeutend sein. Ich denke schon, dass wir da eine hohe Sichtbarkeit haben.

Apropos mögliche Regeländerungen. Könntest du dir Quidditch ohne Besen vorstellen?

Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Glaubst du denn, dass es realistischerweise zeitnah dazu kommen wird?

Nein. Auch das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Wie sieht es eigentlich mit deiner eigenen Quidditch-Karriere aus? Nachdem du die Verbandsarbeit aufgegeben hast, konzentrierst du dich jetzt wieder etwas mehr auf die eigenen sportlichen Ziele?

Erstmal gehe ich das Thema sehr entspannt an. Ich habe ja das vergangene Jahr faktisch gar nicht gespielt, weil ich erst noch im Ausland war und dann Corona jegliche Spiele verhindert hat. Außerdem hat sich mein sportlicher Fokus etwas weg vom Quidditch hin zu Klettern und Bouldern verlegt. Aber trotzdem spiele ich weiterhin Quidditch. Die wenigen Trainings in Leipzig vor dem Lockdown haben mich darin bestärkt, dass Quidditch weiterhin meine große Liebe ist.


Das Interview führte Daniel Knoke.


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