“Wir sind alle sexistisch“

 
Volle Konzentration: Patricia Heise steht mit dem Entwicklungsteam auf dem Feld. © Anna Koivu

Volle Konzentration: Patricia Heise steht mit dem Entwicklungsteam auf dem Feld.

© Anna Koivu


Patricia Heise ist in Deutschland Quidditchspielerin der ersten Stunde. Seit 2015 steht sie bei nationalen und internationalen Turnieren auf dem Pitch - für Deutschland, Südkorea und Frankfurt. Als Trainerin investiert Heise seit zwei Jahren viel Zeit in das Training des Entwicklungsteams. Mit MUS spricht sie darüber, warum ihr das Entwicklungsteam eine Herzensangelegenheit ist, wie sie ihre Rolle als Trainerin sieht und wie alle Coaches dazu beitragen können, Quidditch noch inklusiver zu machen. 

Magazin des unpopulären Sports (MUS): Glaubst du, dass die zunehmende Kompetivität im Quidditch gerade für Frauen ein Problem darstellt?

Patricia Heise: Kurz vorab: Wenn ich jetzt hier von Frauen und Männern spreche, dann meine ich alle Leute, die in die jeweilige Kategorie einsortiert werden und wurden und mit der Rolle aufgewachsen sind. Zur Frage: Ja, aus verschiedenen Gründen. Einmal wachsen Männer durchschnittlich mit einem ganz anderen Ehrgeiz bezüglich Sport auf. Sie verspüren schon ihr ganzes Leben lang den Druck, sportlich sein zu müssen. Frauen haben diesen Druck oft nicht und müssen sich erstmal an den mentalen Druck gewöhnen. 
Gleichzeitig haben viele Männer sich mehr als Frauen dadurch auch schon in frühen Jahren sportlich betätigt, gerade im Team- und Ballsport und dadurch schon eine bestimmte Übersicht, Fitness und Technik erlangt. 
Jetzt wo Quidditch kompetitiver wird, entscheiden wir uns viel mehr mit den Leuten zu spielen, die bestimmte Fähigkeiten eben schon erlangt haben, und das sind tendenziell die Männer, die ihr Leben lang schon Sport machen. Wir nehmen uns nicht die Zeit, alle so zu fördern, wie sie es brauchen.

MUS: Siehst du neben dem Unterschied in der Sozialisierung auch eine biologische Komponente, die dazu führt, dass Frauen mehr aufholen müssen?

Heise: Sicher haben Frauen und Männer nicht die gleichen körperlichen Voraussetzungen. Aber mit viel Training kann man viel erreichen und einige Frauen können zum Beispiel so schnell werden wie viele Männer – oder schneller. Auf der anderen Seite sollten wir aber auch unsere Prioritäten verschieben. Momentan ist unser Spielstil sehr auf die Komponenten ausgelegt, in denen Männer in der Regel gut und vielen Frauen überlegen sind. Das ist zum Beispiel Kraft.   Wir müssen variabler werden und anfangen auch andere Fähigkeiten zu priorisieren und zu schätzen. In Sachen Wendigkeit sind Frauen zum Beispiel nicht oder kaum unterlegen. Dann müssen Frauen auch weniger aufholen. 

MUS: Wie stehst du zur Gender Rule?

Heise: Im Prinzip ist die Gender Rule mit einer Frauenquote vergleichbar. Ich mag es nicht, dass eine Frauenquote nötig ist, aber wenn es nur durch Zwang geht, dann ist es halt so. Wenn es die Gender Rule nicht geben würde, dann würden viele Teams letztendlich ohne Frauen spielen. Deshalb denke ich schon, dass es gut ist, dass es die Gender Rule gibt, weil es Teams dazu zwingt, Frauen zu fördern. 

MUS: In Deutschland dürfen laut "Gender-Rule" jetzt maximal 3 Personen eines Geschlechts in den ersten 18 Minuten auf dem Platz stehen. Bisher waren vier Personen pro Geschlecht erlaubt. Diese Änderung soll bewirken, dass insbesondere Frauen mehr Spielzeit bekommen. Wie stehst du zu der Regeländerung?

Heise: Einige haben sicher mitbekommen, dass ich nach der Mitgliedervollversammlung, auf der die Regeländerung beschlossen wurde, eine gewisse Wut verspürt habe. Ich war aber gar nicht wütend wegen der Regeländerung an sich, sonder eher über die Diskussion zur Regeländerung. Ich habe mitbekommen, dass einige Teams der Änderung kritisch gegenüberstanden, weil sie dann anders trainieren müssten. Und das habe ich nicht verstanden. Das klang so, als hätte man vorher Frauen einfach in der Ecke abgestellt und zu viert gespielt, aber jetzt wo höchstens drei Männer auf dem Feld stehen dürfen, müssten Frauen auch gefördert werden. 
Persönlich als Spielerin in Frankfurt mag ich die Regel nicht, weil wir nicht genug Leute sind. Die neue Regel nimmt uns einfach Flexibilität. Und so geht es vielen kleineren Teams. Das sage ich aber auch als Spielerin aus einem Team, das schon immer Wert darauf gelegt hat, Spieler*innen entsprechend ihres individuellen Talents und nicht ihres Geschlechts zu fördern.  Insofern hatten wir nie das Problem, dass wir unseren Frauen keine Spielzeit gegeben haben. Frankfurt hatte immer mindestens eine Haupttrainerin, lange Zeit sogar zwei. Man muss schauen, wie kann man sonst kleine Teams fördern kann, ohne Frauen zu benachteiligen. Aber dafür gibt es keine einfache Lösung, sonst hätte die der DQB Vorstand auch schon längst implementiert. 
Wenn die neue Gender Rule dazu führt, dass Frauen mehr gefördert werden, dann ist sie eine gute Sache. Wenn nicht, dann wird sie nur dazu führen, dass kleine Teams – zumindest aus dem sportlichen Wettbewerb – verschwinden. Was eintrifft, bleibt abzuwarten. 

Viel Erfahrung: Patricia Heise (oben links) spielt die Weltmeisterschaft 2018 für Südkorea.© Nina Heise

Viel Erfahrung: Patricia Heise (oben links) spielt die Weltmeisterschaft 2018 für Südkorea.

© Nina Heise

MUS: Die deutschen Top-Teams auf EQC-Level spielen in den wichtiges Spielen überwiegend mit 4 Männern und 2 Frauen. Wie kann man diese Entwicklung stoppen und für mehr Spielzeit von Frauen sorgen, wenn nicht mit einer Änderung der Gender-Rule?

Heise: Ich glaube, dass hier Frauen aufgewertet werden müssen. Wir müssen reevaluieren, was ein gutes Spiel ist. Ist nur ein aggressives, körperliches Spiel gut? Und wir müssen Frauen in den Positionen fördern,  in denen sie hohes Potenzial zeigen. Und dann werden Frauen auf dem Feld stehen, weil sie die beste Person für die Position sind und nicht weil es eine Gender Rule gibt. Aber bis dahin ist es ein langer Weg und braucht viel Vertrauen von Seite der Trainer*innen und Spielmacher*innen. Und natürlich wird das umso schwieriger je professioneller der Sport wird. Dann müssen Frauen noch härter darum kämpfen, Spielzeit zu bekommen.

MUS: Quidditch schreibt sich gerne Inklusivität und Gleichberechtigung auf die Fahne. Wo siehst du Quidditch-Deutschland diesbezüglich und was muss sich in der Community noch ändern?

Heise: Wir müssen erkennen, dass wir alle sexistisch sind. Ganz einfach, weil uns das mitgegeben wurde. Da müssen wir aktiv gegen anarbeiten, um aus der Struktur auszubrechen. Und selbst wenn wir alle gleichberechtigen, haben wir noch keine Gleichstellung erreicht. Frauen müssen mehr gefördert werden, damit wir zu einer Gleichstellung kommen. Das ist nicht einfach. Ich hoffe, dass das Thema in stetiger Diskussion bleibt, damit das nicht vergessen wird und wir nicht zurück in alte Muster verfallen. Ich hoffe, dass Leute die Marginalisierung von Frauen im Sport immer wieder ansprechen, Posts darüber verfassen und Artikel darüber schreiben. So erinnern sich die Leute immer wieder daran, dass sie sexistisch sind, bis sie was dagegen machen, und wahrscheinlich sogar dann noch. 

MUS: Quidditch hat als gemischtgeschlechtlicher Vollkontaktsport eine Sonderstellung in der Sportwelt. Welche Vor- und Nachteile siehst du dabei?

Heise: Das Besondere daran ist, dass Männer und Frauen hier wirklich den gleichen Sport mit den gleichen Regeln machen. Man denkt zwar, das sei fast immer so, aber das stimmt nicht. Im Tennis zum Beispiel spielen Frauen weniger Sets als Männer und im Speerwurfen haben sie einen leichteren Speer. Frauen werden immer als das schlechtere Geschlecht gesehen und es wird immer weniger von ihnen erwarten. Mit Quidditch haben wir wirklich einen körperlichen Sport, der deswegen häufig mit Männern assoziiert wird. Dadurch hat er das Potenzial, zu beweisen, dass Frauen genauso sportlich oder sportlicher sein können als Männer. Er kann aber natürlich auch alte Vorurteile bekräftigen. 

MUS: Was ist deine schönste Erfahrung im Quidditch gewesen?

Heise: Eine sehr schöne Erfahrung war auf jeden Fall das Fantasy-Turnier “Broomtislava” mit Frankfurt in Bratislava. Wir waren viel zu wenig Leute, um bei 30 Grad Hitze zu spielen. Nach einem Spiel hatte ich echt das Gefühl richtig schlecht gespielt zu haben. Aber danach ist ein Spieler der Unspeakables aus London auf mich zu gekommen und hat mir gesagt, dass ich richtig gut und kreativ gespielt habe und es Spaß mache mir zuzusehen. Und dass sich das Entwicklungsteam glücklich schätzen könne, mich als Trainerin zu haben. Das hatte mir bis dahin noch nie jemand gesagt. Das war einfach ein schönes Erlebnis.

MUS: An welche Erfahrung denkst du nicht gerne zurück?

Heise: Eigentlich immer, wenn ich in neuen Teams gespielt habe. Das liegt einfach daran, dass ich das Gefühl habe, mich immer neu behaupten zu müssen. Am Anfang gehen alle immer erstmal davon aus, dass ich nichts kann, bis ich das Gegenteil beweise. Ich habe schon auf so vielen Fantasy-Turnieren gespielt, wo ich kaum den Ball hatte und wenn dann nur, weil ich ihn mir selbst geholt habe. Es macht einfach keinen Spaß, wenn Leute denken, ich könne nichts. Ich werde als kleines dickes Mädchen gesehen und die Leute gehen davon aus, dass ich dann nichts kann. Weil sie einfach so das Idealbild von Sportler haben, wo ich überhaupt nicht reinpasse. Ich bin weder groß noch ein Typ. 

Patricia Heise (2. v. l.) und Nina Heise (3. v. l.) coachen ihr Team.© Juliane Schillinger (https://www.facebook.com/VanKlaverenQP/)

Patricia Heise (2. v. l.) und Nina Heise (3. v. l.) coachen ihr Team.

© Juliane Schillinger (https://www.facebook.com/VanKlaverenQP/)

MUS: Vor zwei Jahren hast du gemeinsam mit Nina Heise das Entwicklungsteam ins Leben gerufen. Wie kam es zu dieser Idee und welche Ziele habt ihr damit verfolgt?

Heise: Das Entwicklungsteam war tatsächlich weder Ninas noch meine Idee. Die ursprüngliche Idee kam Peter [Anm. d. Red. Peter Bogner, dem Bundestrainer 2017]. Er fand es damals sehr schade, dass es so viele Talente gibt, die gerade noch nicht gut genug für das Nationalteam sind, aber die unbedingt gesondert gefördert werden sollten. Peter hat daraufhin die Idee eines Entwicklungsteams beim Deutschen Quidditchbund angesprochen und das wurde dann auch schnell beschlossen. 
Nina und ich haben uns dann als Coaches beworben. Ich fand es total spannend, dass wir so viel Einfluss auf die Umsetzung hatten. Wir konnten unser eigenes Konzept entwickeln und Schwerpunkte setzen. Für Nina und mich war es sehr wichtig, dass wir den Spieler*innen persönlichen Zugang zu uns Trainerinnen ermöglichen und sie individuell fördern. Das hat uns beiden als Natio-Spielerinnen in der Vergangenheit gefehlt. Dafür ist eine Natio sicherlich auch nicht in erster Linie da, aber gerade deshalb haben wir uns vorgenommen, das im Entwicklungsteam umzusetzen. 
Wir haben dann den Fokus darauf gelegt, Leute zu fördern, die zu Hause nicht die gleiche Förderung bekommen könnten, die aber das Potenzial haben, in Zukunft Natio zu spielen. Das sind Leute aus kleinen Teams, die dort einfach nicht mit so vielen sehr guten Leuten spielen können und nicht so viele Taktiken ausprobieren können. Das sind genauso gut Frauen, die in ihren Teams einfach nicht gesehen werden oder Leute aus sehr guten Teams mit tiefem Kader, die wenig Spielzeit bekommen, weil sie nicht die Topaufstellung sind. Das war unser Hauptziel. 

MUS: Ihr habt euch beide entschlossen kein drittes Jahr dranzuhängen. Welches Resümee ziehst du nach den zwei Jahren?

Heise: Wir haben leider beide dieses Jahr nicht genügend Zeit. Ich fange demnächst meinen Master an und möchte mich da voll reinhängen. Und um ehrlich zu sein, brauche ich auch einfach mal eine Quidditchpause. Ich bin seit 2015 immer irgendwo Trainerin gewesen. Nach fünf Jahren kann man schon mal eine Pause machen. Es ist einfach viel Stress, sechs oder sieben Trainingslager im Jahr zu organisieren und nach jedem persönliches Feedback zu geben. Und gerade das persönliche Feedback wollten wir nicht zurückschrauben, weil das ein Kernpunkt bei uns war. Wir haben in den zwei Jahren wieder gemerkt, wie wichtig ein persönlicher Zugang zu den Menschen ist, die man trainiert. Und dass man auf die Fragen und Probleme der einzelnen Leute in Ruhe eingehen muss, um ein Team als Zusammenspiel verschiedener Spieler*innen zu verstehen. Erst dann kann man alles aus Leuten rauskitzeln. Erst dann weiß man, wieso die Umsetzung der Taktik nicht lief. Und Vertrauen; wenn man Leuten einen Vertrauensvorschuss gibt, wird der fast immer belohnt, man muss bloß geduldig sein und dranbleiben.

MUS: Du hast Quidditch ja aus der Perspektive einer Trainerin erlebt. Wenn du Coaches in unserem Sport einen einzigen Ratschlag geben könntest: Was würdest du ihnen raten?

Heise: Versucht Leute nach ihren Stärken zu fördern und nicht ihre Schwächen zu verstecken. Schaut nicht aufs Geschlecht. Guckt nicht, wie Leute am wenigsten ein Klotz am Bein sind, sondern guckt, was die Leute gut können und fördert sie darin.

 

Die Fragen stellte Hannah Wolff.


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