Luis MUStermann über … das Beaten als Lektion fürs Leben

 

von Luis Teschner

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Ich beate noch nicht lange. Ich spiele noch nicht mal wirklich lange Quidditch. Angefangen habe ich Ende 2018 als Chaser, weil mein Team das damals so brauchte. Ein Jahr später habe ich angefangen zu beaten und bin jetzt seit circa einem halben Jahr im schwarzen Headband unterwegs. Für die Menschen, die sich mit Quidditch noch nicht so gut auskennen: Als Chaser habe ich versucht Tore zu werfen. Als Beater versuche ich, andere Personen mit meinen Würfen (Beats) aus dem Spiel zu nehmen.

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Trotz der kurzen Zeit erscheint mir meine Beaterkarriere jetzt schon länger, erfolgreicher und spaßiger als meine Zeit als Chaser (was ich aber ausschließlich auf mich und nicht auf die Chaserposition an sich schiebe). Ich glaube auch, ich habe etwas in dieser kurzen langen Zeit gelernt. Über Quidditch sowieso, aber auch – wie die Überschrift schon sagt – über’s Leben.

Ich habe gelernt, dass Gewinnen im Beaten und im Leben nichts Absolutes ist. Beim Chasen, ja: Habe ich ein Tor gemacht beziehungsweise verhindert oder nicht. Aber so funktioniert Beaten für mich nicht. Ich muss Risiken abwägen, Entscheidungen treffen und dann durchziehen. Ich muss mich an das Gefühl gewöhnen, beim Angriff einen Klatscher zu verlieren, aber dafür ein Tor zu ermöglichen. Meinem*r Beater-Partner*in helfen und Klatscherkontrolle behalten, aber dafür meine Chaser*innen nicht zu unterstützen. Ob ich am Ende die richtigen Entscheidungen getroffen habe, ist schwer zu sagen. 

Klar kann ich meine Chancen durch Können erhöhen. Deswegen trainieren wir alle auch so hart. Trotzdem stellt sich (zumindest bei mir) nie das Gefühl ein, alles richtig zu machen. Ich habe nicht das Gefühl wie im Fußball, wenn ich einen Elfmeter verwandele oder im Baseball, wenn ich einen Homerun laufe. Und das sehe ich auch im Leben. 

Viele Wege führen zum Ziel und ich sehe erst im Nachhinein, ob ich die richtige bzw. richtigste Entscheidung getroffen habe und ich ob ich das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis für mich rausgeholt habe. Das macht zwar die Beurteilung schwer, ermöglicht aber gleichzeitig die unendlich verschiedenen Lebensformen, die das Zusammenleben so interessant machen. In dem Sinne hat Beaten mir Toleranz beigebracht. Ich bin vorsichtiger mit meinen Beurteilungen und offen, mir die Ideen von anderen anzuhören. Den perfekten, universellen Spielstil/Lebensstil gibt es eben einfach nicht.

Dieser Aspekt spielt auch in das Gefühl von Verantwortung mit rein, das ich beim Beaten habe. Das gibt es beim Chasen natürlich auch, aber für mich besteht da trotzdem ein Unterschied. Wenn mein Team schlecht ist, ist es für mich als Beater sehr leicht, es auf die Chaser*innen zu schieben und abzuhaken. Das haben wir vermutlich alle irgendwann schon mal gemacht. Aber es stimmt eigentlich nicht. Möglicherweise hat mein*e Keeper*in das letzte Duell verloren und somit das Tor nicht verhindert. Aber wieso habe ich ihr*ihm nicht geholfen? Das sollte doch eigentlich sehr weit oben auf meiner Prioritätsliste sein. 

Deswegen ist für mich der Satz „Es lag an unserem Chasergame“ inzwischen fast tabu (obwohl ich manchmal doch Rückfälle habe). Das ist überhaupt nicht konstruktiv für meine eigene Leistung, denn bei dieser Ausrede gibt es keinen Lerneffekt. Und das kann ich auch auf meinen Alltag beziehen. Ich nehme dazu mal ein Beispiel aus meinem Studium: Ich bin Teil einer Gruppenarbeit mit drei anderen Studierenden (über Zoom noch schlimmer als sowieso schon). Ich versuche, eine Diskussion zu eröffnen, aber alle sind rede- oder schreibfaul und im Endeffekt rede ich fast mit mir selbst. Mein erster Instinkt: Mich über die anderen ärgern und mich selbst loben, weil ich mein Bestes gegeben habe. 

Dieses Selbstlob hat seinen Platz, ich muss ja irgendwie mein Selbstbewusstsein pflegen. Es steckt aber genauso ein Stück beater’sche Verantwortung mit drin. Vielleicht war ich mit Schuld, dass die Gruppenarbeit nicht funktioniert hat. Vielleicht war ich zu laut, zu vorschnell und habe damit die anderen Studierenden eingeschüchtert. Vielleicht arbeiten sie lieber langsam und sorgfältig, aber ich habe ihnen keinen Raum dafür gegeben. Gesund für meinen Selbstwert ist bestimmt eher die Wut und das Selbstlob. Gesund für zukünftige Gruppenarbeiten ist aber Selbstkritik, denn dann denke ich darüber nach, was ich besser hätte machen können. Ich reflektiere wie ich in Zukunft reagieren will, wenn ich in einer ähnlichen Situation bin. Insofern hat Beaten mir beigebracht, mich immer mitverantwortlich zu fühlen und Schuldzuweisungen als nicht direkt sinnlos, aber schon als egoistisch zu erkennen.

Beaten hat mir auch eine große Schwäche meinerseits aufgezeigt. Viel zu oft ist es mir passiert, dass ich eine klasse Aktion hingelegt habe, nur um in den nächsten fünf Minuten jeden Anfängerfehler zu machen, den man sich vorstellen kann. Ich würde von mir behaupten, Risiken ganz gut einschätzen zu können, aber sobald ich einen Klatscher gefangen habe und gleichzeitig einem anderen ausgewichen bin, halte ich mich für den Größten. Als Resultat überschätze ich meine Chancen dann so sehr, dass ich es direkt zurückgezahlt bekomme. 

Ich mache Fehler, von denen ich eigentlich selbst weiß, dass sie ganz schön dumm und unnötig sind. In dem Sinne ist Beaten auch eine Lektion in Demut: Ich kann noch so krass werfen können, wenn ich als Resultat davon weniger umsichtig bin, kann mich auch der*die unerfahrenste Anfänger*in von hinten cherrypicken. 

Diesen Aspekt sehe ich auch wieder in meinem Leben. Es hilft ungemein, die eigene Leistung langfristig einzuschätzen und nicht nur anhand der letzten fünf Minuten zu bemessen. Das ist realistischer und hilft mir, nicht abzuheben, mich aber auch nicht selbst fertigzumachen, sollte mal etwas schief laufen. Im Leben haben die Dinge vielleicht langfristigere Auswirkungen (eine gute oder schlechte Klausurnote kann meinen Schnitt hoch-/runterziehen, eine Beförderung kann meine finanzielle Lage verbessern), trotzdem machen sie mich nicht zu einer besseren oder schlechteren Person. 

Diese Erkenntnis bewahrt mich vor Arroganz, aber genauso vor Selbstmitleid und hilft mir bei einer realistischen, nüchternen Selbsteinschätzung. Und so hat Beaten mir Demut und ehrliche Selbstsicht beigebracht.

 

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