Boykott? Wie Sport auf Rassismus reagiert

 

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von Daniel Knoke

Black Lives Matter: Demonstranten protestieren gegen Rassismus in Atlanta.© Maria Oswalt/unsplash.com

Black Lives Matter: Demonstranten protestieren gegen Rassismus in Atlanta.

© Maria Oswalt/unsplash.com


“Wir. Fühlen. Uns. Nicht. Sicher.” Mit diesem Kommentar auf Facebook bringt Christian Barnes perfekt auf den Punkt, was wohl viele Menschen aktuell über die USA denken. Christian Barnes ist in einem unpopulären Sport zu Hause und Christian Barnes ist Schwarz. Letztere Feststellung sollte eigentlich niemals eine Rolle spielen, doch leider tut sie das in diesem Kontext, denn es geht um Rassismus im unpopulären Sport.

Spielt Rassismus im unpopulären Sport überhaupt eine so große Rolle, mag man im ersten Moment fragen. Sind nicht gerade die Communitys im unpopulären Sport dafür bekannt, dass sie besonders inklusiv und antidiskriminierend sind? Roller Derby identifiziert sich stark über Feminismus, für Quidditch als gemischtgeschlechtlicher Sport ist das Thema LGBTQ+ sehr wichtig. Schließlich sieht sich Quidditch als Teil dieser Community. Ist Rassismus in solchen Sportarten wirklich ein großes Problem? Die Antwort lautet: Natürlich ist er das. Rassismus ist überall. Denn Rassismus ist nicht immer aktiv gewollt und beleidigend gemeint. Er ist oft unterschwellig und den Beteiligten manchmal gar nicht bewusst. 

Die Worte der Minderheiten sollten endlich gehört werden

Einige besonders eindrückliche Beispiele aus dem Roller Derby hat die Skaterin “Queen Loseyateefa” hier aufgeschrieben. Sie geht in der US-Stadt Atlanta ihrem Sport nach und hat es bereits erlebt, dass Schiedsrichter eine Strafe mit der Hautfarbe der Sportlerin ansagen. Wie reagiert man in einem solchen Fall? Mit Boykott? Mit einem Abbruch des Wettkampfs? “Queen Loseyateefa” kann diesem Gedanken nicht so viel abgewinnen. Kein Wunder: Offensichtlich liebt sie ihren Sport und will ihn gerne ausüben.

Die von ihr ausgeführten Beispiele lassen den Leser dennoch sprachlos zurück. Sicherlich ist es nicht unbedingt die Absicht von “Queen Loseyateefa” ihren eigenen Sport an den Pranger zu stellen, denn natürlich steht Roller Derby für so viel Positives. Doch darum geht es nicht. Auch im Roller Derby gibt es in den USA offensichtlich Rassismus. Wer “Black Lives Matter” sagt, muss auch “Black Voices Matter” sagen. Die Worte der Minderheiten sollten endlich gehört werden - ohne dass es Entschuldigungen oder Relativierungen gibt.

Das zumindest ist auch in der Quidditch Community ein weit verbreiteter Standpunkt. Der oben zitierte Christian Barnes ist nämlich Quidditchspieler. Er ist Schwarz und er kommt aus New York. Seinen Kommentar “Wir. Fühlen. Uns. Nicht. Sicher” (im Original natürlich auf Englisch) hat er in einer Diskussion eingebracht, die zeigt, dass Rassismus vermutlich in fast jeder Sportart ein Thema ist. 

WM-Boykott als letzte Option

Der International Quidditch Association steht eine wichtige Entscheidung bevor.Quelle: Facebook

Der International Quidditch Association steht eine wichtige Entscheidung bevor.

Quelle: Facebook

In diesem Fall geht es um einen offenen Brief, den der kanadische Quidditchspieler Jamie Lafrance an die International Quidditch Association (IQA) geschrieben hat (den Brief im Original könnt ihr hier lesen). Die Quintessenz des Briefes lautet im Wesentlichen, dass er sich als Schwarzer im Süden der USA nicht sicher fühlt und den Quidditch Weltverband deshalb auffordert, die für 2021 geplante Weltmeisterschaft an einen anderen Ort zu verlegen. Die Quidditch-WM soll nämlich laut aktuellem Stand in Richmond im US-Bundesstaat Virginia stattfinden. 

Nicht erst der Tod von George Floyd hat gezeigt, dass Minderheiten in den USA nach wie vor Opfer von Rassismus und im schlimmsten Fall von tödlicher Gewalt sind. In dieser Hinsicht wäre die Verlegung der Quidditch-Weltmeisterschaft in eine anderes Land ein starkes Signal, dem sich auch der Deutsche Quidditchbund (DQB) aufgeschlossen gegenüber zeigt. “Das können wir uns sehr gut vorstellen”, sagt DQB-Präsidentin Monique Renk auf die Frage, ob der DQB eine Neuausschreibung der WM für denkbar halten würde. Aber natürlich müsse man die Beratungen der IQA zu dem Thema abwarten.

Renk bringt in diesem Zusammenhang einen wichtigen Gedanken gut auf den Punkt. “Als inklusiver Sport sollte es unser Ziel sein, auf Turnieren einen Safe Space zu bieten. Das schließt nicht nur die Community, sondern auch den Austragungsort mit ein”, stellt die DQB-Präsidentin im Gespräch mit MUS klar. Es geht also darum, dass sich alle Personen nicht nur auf dem Quidditchplatz, sondern auch in der austragenden Stadt sicher fühlen.

Dieses Thema ist Jamie Lafrance so wichtig, dass er in seinem offenen Brief sogar einen Boykott der Quidditch-WM ins Spiel bringt - sofern diese den USA nicht entzogen wird. Für den DQB wäre ein Boykott zwar nur “die letzte Option”, wie Renk betont. Aber ganz ausschließen will man ein solches Szenario in der deutschen Quidditch Community offenbar auch nicht. 

Wie wird die IQA reagieren?

Ein Boykott wäre wohl für viele Seiten die schlechteste Lösung. Aktuell herrscht offenbar nicht nur beim DQB die Meinung vor, dass die IQA angemessen reagieren wird. Ob das heißt, dass die WM tatsächlich in ein anderes Land verlegt wird, ist natürlich offen. Schließlich wäre eine solche Verlegung organisatorisch nicht einfach zu bewerkstelligen. 

Ein Beispiel: Offenbar gibt es Verträge mit der Tourismusbehörde in Richmond, die das dortige Turnier sponsern soll, um die Kosten zu drücken. Die Frage, ob man ohne größeren Aufwand aus der Sache wieder “rauskommt”, stellt sich also. Und als nächstes stellt sich natürlich die Frage, wer ein Ersatzgastgeber sein könnte. Schließlich bringt es nichts, mit dem Finger auf die USA zu zeigen, wenn im eigenen Land Rassismus ebenso ein Problem ist.

Ein ähnliches Beispiel ist die Türkei. Zwar ist es so, dass einige der besten europäischen Quidditch-Teams aus der Türkei kommen. Ein europäisches Turnier wurde dort allerdings trotz vorhandener Bewerbungen noch nie ausgetragen. Ein Aspekt war offenbar, dass sich zum Beispiel Transgender-Personen in der Türkei nicht sicher fühlen.

Der unpopuläre Sport hat noch einen weiten Weg zu gehen

In der Diskussion um die aktuelle WM wurde dann Neuseeland als sicheres Land und Ersatzgastgeber ins Spiel gebracht. Das Problem: Dort gibt es aktuell offenbar nur 7 Personen, die aktiv Quidditch spielen - in den USA sind das mehrere Tausend. Neuseeland könnte eine Quidditch-WM nur mit massiver Unterstützung aus Australien stemmen. Es zeigt sich also wie kompliziert das Thema ist. Die Suche nach einem möglichen Ersatzgastgeber ist nicht einfach. 

Doch das sollte niemals als Ausrede dienen, das Thema nicht anzugehen. Denn der allgemeine Standpunkt in der Community lässt sich wie folgt zusammenfassen. Wichtig sind aktuell vor allem zwei Dinge: Dass die Stimmen von Schwarzen und anderen Minderheiten endlich ausreichend gehört werden und dass die Quidditch-WM an einem Ort stattfindet, wo sich alle sicher fühlen. Beides sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die in diesem Text erwähnten Diskussionen im Roller Derby und im Quidditch zeigen, dass auch der unpopuläre Sport durchaus noch einen weiten Weg zu gehen hat.

 

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