Deutscher Sonderweg: Roundnet Germany beschließt eigenes Regelwerk

 

von Hannah Wolff

Gestärkte Defense: Nach dem Block ist nun eine zweite Ballberührung erlaubt. (Foto: Julian Meusel, 1. Roundnet Club Köln)

Gestärkte Defense: Nach dem Block ist nun eine zweite Ballberührung erlaubt.
(Foto: Julian Meusel, 1. Roundnet Club Köln)


Im Februar hat die Spikeball Roundnet Association (SRA) ein neues Regelwerk veröffentlicht. Die SRA ist allerdings eine kommerzielle, von der Firma Spikeball betriebene, Organisation. Kurz darauf hat Roundnet Germany angekündigt, die neuen Regeln nicht pauschal zu übernehmen. Philipp Kessel aus dem Vorstand von Roundnet Germany erklärt: “Mit der Gründung des Weltverbandes International Roundnet Federation (IRF) muss dieser ganz klar der regelgebende Verband sein, der unabhängig von irgendwelchen Firmen die Regeln der Sportart bestimmt.” Eine Positionierung des Weltverbands steht jedoch noch aus. So gibt es nun pünktlich zur Lockerung des Corona-Lockdowns zunächst eine rein deutsche Entscheidung bezüglich der insgesamt sechs Regeländerungen der SRA.

Roundnet Germany übernimmt drei Regeländerungen

Drei der Regeländerungen werden künftig auch im deutschen Raum verwendet. So wird die Entfernung der Aufschlaglinie von 1,80 Meter auf 2,13 Meter (7 Fuß) verlegt. Dafür darf sich die aufschlagende Person nun über diese Linie lehnen. Lediglich die Füße müssen hinter der Linie positioniert bleiben. Dadurch fällt aus Sicht von Roundnet Germany einer der größten Streitpunkte der Vergangenheit weg. War die Angabe zu nah? Um bereits sehr starken Angaben nicht noch weiter zu stärken, erfolgte die Verlegung der Aufschlaglinie auf 2,13 Meter. 

Eine ähnliche Argumentation verfolgt die Eliminierung der “Strong Hinder”-Regel. Nach dem alten Regelwerk wurde ein Punkt wiederholt, wenn ein*e Spieler*in dem angreifenden Team im Weg stand und somit am Spiel gehindert hat. Wenn diese Situation jedoch einen guten Schlag aufs Netz (strong play) verhindert hat, erzielte das angreifende Team direkt einen Punkt oder Wiederholung. Diese Regel hat viel Diskussion mit sich gebracht, was eine gute Schlagsituation ausmacht. Aus diesem Grund wurde sie vereinfacht. Solange ein*e Spieler*in sein*ihr bestes gegeben hat, die Spielbehinderung zu vermeiden, gibt es eine Wiederholung. Ist dies nicht der Fall, erhält das angreifende Team den Punkt. 

Die dritte Regeländerung, die Roundnet Germany mit ihrem neuen Regelwerk umsetzt, zielt darauf ab, die Defense gegenüber der Offense zu stärken. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass das angreifende Team stets einen Vorteil hat. In Zukunft ist in der Verteidigung deshalb eine zweite Berührung der gleichen Person nach einem Block erlaubt. Dafür muss der Ball sich vor der ersten Berührung noch in aufsteigender Richtung befinden und die Berührung innerhalb des Aufschlagkreises stattfinden. Nach der zweiten Berührung darf der Ball nicht aufs Netz geschlagen werden, sondern muss für den*die Partner*in gestellt werden.

Philipp Kessel aus dem Vorstand von Roundnet Germany erklärt, dass diese Regeländerung längere Ballwechsel ermögliche, da defensive Fehlstellungen korrigiert werden können. “Blocks bekommen somit eine größere Bedeutung und werden aufgewertet.” Er erhofft sich ein spektakuläreres Spiel und sieht die Regel auch für Anfänger*innen als umsetzbar an.

Aus für die No-Hit-Zone in Deutschland

Die am kontroversesten diskutierte Regel, die die Defense wohl am meisten stärken würde, findet jedoch keinen Einzug ins deutsche Regelwerk. Die No-Hit-Zone, eine Zone im Abstand von 45 Zentimeter um das Netz, schwächt den Angriff im SRA-Regelwerk. Hier darf eine Person beim Abschluss nicht mehr innerhalb dieser Zone stehen. Sie muss sich demnach weiter vom Netz positionieren, was es ihr erschwert, in alle Richtungen abzuschließen. Die Defense kann den Abschluss somit besser lesen und sich dementsprechend stellen.

Obwohl auch Roundnet Germany erkennt, dass die Defense gegenüber der Offense gestärkt werden muss, haben sich die deutschen Roundnet-Verantwortlichen gegen die Anerkennung der No-Hit-Zone entschieden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits verändere die Zone das Spiel deutlich und würde insbesondere das Gefälle zwischen den Spielniveaus vergrößern. Im SRA-Regelwerk gilt die No-Hit-Zone nur auf Top-Niveau. In Deutschland ist das Top-Niveau jedoch nicht klar definiert.
Außerdem verfolgt Roundnet Germany das Ziel, einheitliche Regeln für alle Leistungsklassen beizubehalten und gerade für Anfänger*innen sei die Zone nicht einfach umzusetzen. Außerdem sei sie in vielen Situationen ohne Observer, eine Art Schiedsrichter, nicht bewertbar.

Die Entscheidung gegen die Regel hat jedoch auch viel mit der Pandemie zu tun. “Für den jetzt ja erstmal auch begrenzten Zeitraum bis zur DM, sofern sie denn stattfinden kann, wollten wir außerdem Chancengleichheit für alle schaffen! Durch die Kontaktbeschränkungen war es für die überwältigenden Mehrheit nicht möglich die No-Hit-Zone (und anderen Regeln) seit der Veröffentlichung durch die SRA zu testen und zu trainieren. Das wird erst jetzt langsam wieder möglich”, erklärt Philipp Kessel. Nichtsdestotrotz ermutigt Roundnet Germany alle Spieler*innen die Regel zu testen. Dazu soll es in naher Zukunft eine groß angelegte Umfrage geben. 

Ebenfalls gescheitert sind die neuen Regeln bezüglich der Side Pocket und Back Pocket. Die SRA versucht in ihrem Regelupdate genauer zu definieren, was eine Pocket darstellt, um Diskussionen zu vermeiden. Eine Side Pocket wird nun definiert als ein Aufschlag, der das linke oder rechte äußere Drittel des Netzes trifft und so die Richtung des Balls gegensätzlich verändert. Zum Beispiel trifft der Ball das Netz auf der linken Seite und ändert seine Flugbahn dann nach rechts. Roundnet Germany sieht das Spielniveau in Deutschland nicht allgemein als hoch genug an, dass Spieler*innen konstant die Mitte des Netzes treffen können. Die Regel habe außerdem in ihren Augen keinen großen Einfluss. 

Einen größeren Einfluss hätte die neue Back-Pocket-Regel, die einerseits analog zur Side Pocket genauer definiert was eine Back Pocket darstellt: Ein Aufschlag, der das hintere Drittel des Netz trifft und als Konsequenz steiler vom Netz abspringt als er aufgekommen ist. Nach alter Regel war eine Back Pocket beim Aufschlag immer illegal. Das SRA-Regelwerk erlaubt sie nun. Dafür wird neu definiert, wann ein Aufschlag generell legal ist: Die Angabe muss unterhalb der Schulterhöhe der annehmenden Person eintreffen. Das ist eine bedeutsame Änderung zur Vorgängerregelung. Hier musste der Aufschlag lediglich niedriger sein, als die Handfläche der nach oben ausgestreckte Hand. Roundnet Germany lehnt die Regelung ab, weil sie viele Doppelfehler befürchten: “Wir sehen das Niveau in Deutschland noch nicht so hoch, dass alle Spieler*innen konstant unter Schulter-Niveau servieren können.”

Internationales Regelwerk soll Ende des Jahres kommen

Ein weiteres Problem ist laut Roundnet Germany die Tatsache, dass es in Europa momentan ein sehr diverses Regelkonstrukt gibt. Die einzelnen Nationen haben unterschiedliche Teile der SRA-Regeln übernommen. Roundnet Germany sieht das deutsche Regelwerk lediglich als Übergangslösung. “Ein Regelwerk sollte so zeitnah wie möglich vom Weltverband für alle Nationen weltweit vernünftig argumentiert vorgegeben werden.”

Noch gibt es jedoch keine Tendenzen, wie ein Regelwerk der International Roundnet Federation (IRF) aussehen wird. Fest steht nur, dass es Ende des Jahres zu erwarten ist. Auch Roundnet Germany möchte sich in den Prozess einbringen. Aus ihrem Kreis gibt es daher Bewerbungen für das Regel-Komitee der IRF. Eine Entscheidung bezüglich des Komitees steht jedoch ebenfalls noch aus. Es bleibt also nur abzuwarten.


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