Rückblick auf EM-Triumph: “Sebastian ist beinahe zusammengebrochen”

 
Ein Spieler der deutschen Jugend-Nationalmannschaft versucht den Ball zu blocken.© Deutscher Kin-Ball Verband

Ein Spieler der deutschen Jugend-Nationalmannschaft versucht den Ball zu blocken.

© Deutscher Kin-Ball Verband


Direkt bei der ersten Teilnahme an einer Kin-Ball-EM ist die deutsche Junioren-Nationalmannschaft im Jahr 2010 Europameister geworden. Sebastian Meiser war damals Spieler Spieler und wurde von Thorsten Kümmel trainiert. (Kümmel ist übrigens der Mann, der dem Hausmeister in unserem Podcast das Kin-Ball-Spielen gezeigt hat). Im MUS-Interview berichten sie von der höllischen Nervosität vor dem ersten Spiel, vom Gefühl nach dem Abpfiff des Finals und warum sie inzwischen französische Pizzerien meiden.


Magazin des unpopulären Sports: Was ist das Erste, was euch einfällt, wenn ihr an die Europameisterschaft 2010 denkt?

Thorsten Kümmel: Für mich ist es der phänomenale Sieg und die Reaktion der Leute darauf. 

Sebastian Meiser: Für mich die Aufregung in der Zeit davor. Und zur Aufregung gehört auch die Vorfreude.

Sebastian, du warst damals als Spieler dabei. Wie alt warst du?

Meiser: Das war kurz vor meinem 15. Geburtstag.

Kümmel: Ja, du wolltest erst noch die Ausnahmegenehmigung, dass du als 14-Jähriger schon bei den Erwachsenen mitspielen kannst.

Wie seid ihr in eure jeweiligen Positionen gekommen? Gab es ein Auswahlverfahren?

Kümmel: Ich war schon Trainer bei unserem Verein, TuS Wiebelskirchen. Da hatten wir eine sehr gute Jugendmannschaft, zu der auch Sebastian gehört hat. Wir haben alles, was im Saarland gespielt wurde, dominiert. Als dann das Thema mit der EM aufkam, also das parallel noch eine Jugend-EM gespielt wird, wurde gefragt: ”Wer macht’s?” Da kamen Stimmen aus meiner Jugendmannschaft, die unbedingt dorthin und mich als Trainer wollten. Dann habe ich mich durchgerungen, bei den Erwachsenen nur als Ersatzspieler dabei zu sein, um mich auf die Jugend zu konzentrieren.

Das heißt, ihr habt euch als Team entschlossen gemeinsam zur EM zu fahren oder kamen noch Spieler*innen aus anderen Vereinen dazu?

Meiser: Weil wir viel dominiert haben, haben wir den ersten Block gestellt. Ich glaube aus Köllerbach kam dann der zweite Block. Wir waren dann zwei, drei Vereine, die die Nationalmannschaft gestellt haben.

“Es war der blanke Horror!”

Wie lief die Vorbereitung auf die Europameisterschaft?

Meiser: Sonntags war immer Nationalmannschaftstraining. Da sind alle mitgekommen: die Herren, die Damen und die Jugendteams. Wir haben alle in Saarbrücken auf dem Gelände der Universität trainiert.

Kümmel: Genau, die letzten zwei Monate vor der EM war es jedes Wochenende.

Außer Deutschland waren nur noch Frankreich und Belgien am Start. Was waren eure Erwartungen vor dem Turnier?

Kümmel: Ich kannte zumindest die Teams der Erwachsenen. Die Belgier waren damals sehr stark. Und als es hieß, dass Belgien eine Jugendmannschaft stellt, da wusste ich: “Oh, das wird ‘ne harte Nummer!” Belgien war zu diesem Zeitpunkt in Europa die absolute Nummer 1. Die hatten das schon aktiv in den Schulsport eingebracht und dementsprechend richtig, richtig viele Spieler und Spielerinnen. Da war ich dann schon ein bisschen unter Spannung. (lacht)

Meiser: Für mich war es das erste internationale Turnier. Wir sind mit recht geringen Erwartungen dorthin gefahren. Eher hauptsächlich, um mitzuspielen und Erfahrungen zu sammeln. Man könnte schon sagen, dass wir die Außenseiter waren.

Wenn es nur drei Nationen gab und man Kin-Ball mit drei Teams gleichzeitig spielt, wie sah denn dann der Spielplan aus?

Meiser: Ich glaube, wir haben vier oder fünf Mal gegeneinander gespielt. Damals waren die Regeln noch ein bisschen anders und man hat dreimal fünfzehn Minuten gespielt. Wie genau das am Ende verrechnet wurde weiß ich gar nicht mehr.

Kümmel: Es wurden die Matchpoints verrechnet. Der Gewinner bekommt zehn Punkte, der Zweite kriegt sechs, der Dritte noch zwei oder drei. Und so wurden dann die Spiele zusammengezählt. Das letzte Spiel war quasi das Finale.

“Da war richtig Dampf in der Halle”

Nach dem Finale kannte der Jubel keine Grenzen.© Deutscher Kin-Ball Verband

Nach dem Finale kannte der Jubel keine Grenzen.

© Deutscher Kin-Ball Verband

Wie nervös wart ihr vor dem ersten Spiel?

Meiser: Super nervös! 

Kümmel: Es war der blanke Horror! (beide lachen)

Meiser: Mir macht das Spielen einfach so viel Spaß, dass ich auch heute immer noch nervös bin. Ich brauche immer zwei, drei Minuten, bis ich ins Spiel reinkomme. Das ging damals dem gesamten Team so. Wir waren super aufgeregt. Thorsten hat direkt am Anfang ein Time-Out genommen und meinte: “Fahrt mal eure Nerven runter und spielt um Spaß zu haben!”

Kümmel: Der Ablauf war schweinegeil, muss ich sagen. Von Anfang an war die Devise erstmal unsere drei Grundtaktiken zu spielen, also die einfachsten Aufschläge. Von der Fitness konnten wir locker mithalten, aber von der Technik her hatten die Belgier einen Vorteil. Allerdings hat es sich für uns ausgezahlt, dass wir am Anfang so nervös waren, weil die Belgier uns damit unterschätzt haben. Nach dem ersten Drittel habe ich dann gesagt: “Jetzt, wo ihr die Nerven wieder beisammen habt, könnt ihr mal anfangen unsere eigenen Techniken zu spielen.” Damit haben wir die Belgier eiskalt erwischt. Die wussten plötzlich nicht mehr, was sie machen sollten, weil unsere Spielzüge keine bekannten waren, sondern von uns im Vorfeld entwickelt wurden. So haben wir sie deutlich in die Tasche gesteckt. Das hat ihnen nicht gefallen, was wir dann im zweiten Spiel zu spüren bekommen haben. (beide lachen)

Gab es einen Moment, ab dem ihr dachtet, hier kann was gehen?

Kümmel: Das was gehen kann, dachten wir direkt nach dem ersten Spiel. Aber das wir gemerkt haben, dass wir um den ersten Platz spielen können, war dann im dritten Spiel. Da waren wir wieder richtig stark. Der klare Außenseiter war letztendlich Frankreich. Da haben wir uns dann zusammengerissen, weil wir die Punkte ja jeweils mitnehmen konnten und nicht immer wieder von vorne zählen mussten.

Erzählt mal ein bisschen vom Spielverlauf des Finals.

Kümmel: Das letzte Spiel war richtig eng. Durch die Punktekonstellation war es so, dass Belgien uns rein rechnerisch nur noch schlagen konnte, wenn sie das Spiel gewinnen und die zwei Drittelpunkte bekommen. Also dafür, dass sie das erste und zweite Drittel gewinnen. Und es war hart, es war wirklich ein hartes Spiel. Sebastian ist beinahe zusammengebrochen, der hat sich die Seele aus dem Leib gerannt. Am Ende des zweiten Drittels kam es dann zur absoluten Schlüsselsituation.

Meiser: Ach ja, stimmt!

Kümmel: Es war Gleichstand zwischen Belgien und Deutschland und die Belgier hatten bei zwei verbleibenden Sekunden Aufschlag. Es war ein super Aufschlag und Timo, einer unserer Spieler, ist dem Ball hinterher gerannt und hat ihn, kurz bevor er auf dem Boden war, wieder in die Luft getreten. Dann ist das Ding tatsächlich so lange in der Luft geblieben, bis die Spielzeit abgelaufen war. Somit endete das zweite Drittel mit einem Gleichstand und wir waren rechnerisch schon Sieger des Turniers. Wir durften nur nicht mehr letzter in diesem Spiel werden. Da war dann richtig Dampf in der Halle. (Meiser lacht)

Meiser: Ich seh es gerade vor meinem bildlichen Auge, wie Timo da den Ball wegkratzt. Das war ein mega Gefühl, der Blick auf die Uhr, der Ball in der Luft und dann läuft die Zeit ab. Da gab es immer so ein lautes, dröhnendes Geräusch. Die Belgier haben noch richtig angefangen zu diskutieren, ob der Ball wirklich erst nach der abgelaufenen Zeit auf dem Boden aufkam. Ich bin grad wieder total euphorisch und aufgeregt, wenn ich Thorsten so zuhöre. 

“Ich bin in einer gemütlichen Sektatmosphäre nach Hause gefahren”

Sebastian Meiser (6.v.l.) und Thorsten Kümmel (3.v.r) mit der deutschen Jugend-Nationalmannschaft nach dem Gewinn der Europameisterschaft.© Deutscher Kin-Ball Verband

Sebastian Meiser (6.v.l.) und Thorsten Kümmel (3.v.r) mit der deutschen Jugend-Nationalmannschaft nach dem Gewinn der Europameisterschaft.

© Deutscher Kin-Ball Verband

Wurde es denn im letzten Drittel nochmal brenzlig?

Kümmel: Die Belgier hatten es natürlich auf uns abgesehen und wollten uns auf den dritten Platz schieben. Das war damals noch so, dass man rufen konnte wen man will. (Das ausgerufene Team muss den Ball verteidigen und die anderen beiden Teams bekommen im Misserfolg einen Punkt zugesprochen, Anm. d. Red.) Das gibt es aus Fair-Play-Gründen nicht mehr. Die Belgier haben bis zum Schluss versucht immer uns zu rufen, damit wir die Fehler machen und Frankreich noch auf den zweiten Platz rutscht. Das haben wir aber relativ souverän verhindert. Wir sind dann im letzten Spiel zweiter geworden, haben aber punktetechnisch das Ding gewonnen. Dann war beim Abpfiff Polen offen und es ist mehr als eine Träne geflossen. (beide lachen)

Meiser: Wir konnten es im ersten Moment gar nicht fassen.  Es hat noch ein, zwei Tage gedauert bis man es wirklich begriffen hat. Vor allem weil wir vor dem Turnier überhaupt nicht damit gerechnet haben.

Wie habt ihr den Sieg gefeiert?

Kümmel: Der Trainer und ein Spieler von den Herren haben, als sie sahen, dass es gut läuft, aus dem Supermarkt eine Magnumflasche Sekt geholt und kamen dann direkt zum Gratulieren. Holger, der Herren-Trainer, und ich als Jugendtrainer hatten schon ab und zu Differenzen wie das Training zu laufen hat. Ich werde nie vergessen, wie er dann nach dem Spiel mit der Sektflasche zu mir kam und meinte: “Wir hätten nie gedacht, dass du die so hinkriegst!” Das war zusätzlich noch eine persönliche Genugtuung. (beide lachen) 

Inwiefern hat euch der Gewinn der Europameisterschaft geprägt?

Meiser: Es war super motivierend! Ich durfte dann im Jahr danach bei den Erwachsenen mitspielen. Man hat schon gemerkt, auch wenn wir anfangs Außenseiter waren, dass in Zukunft was gehen kann. Weil der Sport an unserer Schule so bekannt war, wurde nach der Rückkehr auch eine Durchsage gemacht, wo unsere Namen genannt worden sind. Da hat man sich als 15-jähriger Junge schon sehr cool gefühlt.

Da die Europameisterschaft der Herren, der Damen und der Jugend gleichzeitig stattfand, wart ihr in einer sehr großen Gruppe unterwegs. Gab es organisatorische Schwierigkeiten?

Kümmel: Das ging schon mit der Frage los: “Wo übernachten wir?” Da gingen die Meinungen auseinander. Wir sind dann in einer günstigen Unterkunft gelandet. Speziell nach dem ersten Frühstück wurde es dann schwierig. (Meiser lacht)

Warum?

Kümmel: Kennst du das Frühstück aus dem Film “Matrix”? Wo das Frühstück so eine weiße Pampe ist, woraus dann Brötchen werden? So ungefähr sah das Essen dort aus. Da kam dann die nächste organisatorische Hürde: Essen für alle kaufen. (Meiser lacht)

Welche Anekdote von der EM darf hier auf keinen Fall fehlen?

Kümmel: Französische Pizzerien werde ich in Zukunft meiden. Die Pizzen waren da so klein, dass ich sie als Piccolini schimpfen würde. (lacht)

Meiser: Ich erinnere mich gerne daran, wie wir Thorsten eine Sektdusche verpasst haben, als wir zurückgekommen sind.

Kümmel: Stimmt. Irgendwie kam noch eine Flasche vorbei und ich bin dann in einer gemütlichen Sektatmosphäre im Auto nach Hause gefahren. Das hat richtig Spaß gemacht.

Die Fragen stellte Max Martens


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